Morenga
alles wieder so, wie es ist, also nüchtern. Das war zu ändern nur durch einen neuen satten Rausch, dem notwendigerweise wieder die Ernüchterung folgte. Dieser Durst war von anderer, höherer Art als der ordinäre Durst nach irgendeiner Flüssigkeit, das ahnte Klügge, der selbst nur gelegentlich trank. Seines metaphysischen Dunstes entkleidet, hatte dieser Durst einen harten ökonomischen Kern. Verkauf und Verzehr fielen im Idealfall fast zusammen, wobei beim Branntweintrinken der Durst zwar gestillt wurde, aber so, daß sich danach ein weit größerer Durst einstellte, die Differenz zwischen dem Trinken und dem Durst immer größer wurde und die Intervalle der Nüchternheit immer kleiner, so daß also Angebot und Nachfrage sich gegenseitig hochschaukelten. Das war eine ökonomische Bewegung von einer zwingenden und darum schönen Logik.
Diesen Mechanismus galt es auszulösen.
Klügge mußte, wollte er seinen Plan verwirklichen, ein gewaltiges Faß bauen zu lassen, Geld aufnehmen. In Kapstadt sprach er deswegen bei einem englischen Kaufmann namens Morris vor. Morris galt als bester Kenner des südlichen Afrika. Er hatte Ökonomie studiert und bezeichnete sich als Schüler von Adam Smith. Seit zwei Jahren trug er sich mit dem Gedanken, in das Gebiet zwischen dem Oranje und dem Kuene wirtschaftlich vorzustoßen. Dieses Gebiet war, wie er dem staunenden Klügge, der auf dem Rand eines Sessels sitzend ein Taschentuch gegen sein Geschwür an der Lippe preßte, dozierend vortrug, ökonomisches Niemandsland, ein weißer Fleck zwischen den portugiesischen Geschäftsinteressen in Angola und den englischen in der Kapkolonie. Nur hin und wieder einmal kamen Elefantenjäger oder einige wenige Händler in diese Gegend. Dort aber lägen die eigentlichen riesigen Gewinne. Der Plan mit dem Faß sei zwar kühn, auch durchaus gut durchdacht, aber eben einseitig, und vor allem, womit sollen die Eingeborenen, die fast am Hunger sterben, den Branntwein bezahlen? Morris äußerte sogar moralische Bedenken. Eine Weiterentwicklung in ökonomischer Hinsicht werde durch einen einseitigen Branntweinhandel nicht möglich. Er sprach von der Verantwortung der weißen Rasse, man müsse die Wilden zunächst wirtschaftliches Denken lehren. Die Herero im Norden beispielsweise hielten gewaltige Rinderherden, die sich, da die Rinder zum Ahnenkult gehörten, immer weiter vermehrten. Nur wenn man Hunger auf Fleisch habe oder irgend etwas benötige, tausche man einmal ein Rind. Die Tiere würden immer älter und zäher und stürben schließlich eines natürlichen Todes. Ein Ochse aber, sagte Morris, der eines natürlichen Todes stirbt, hat seinen Beruf verfehlt. Es gälte also zunächst einmal, bei den Eingeborenen, die bis jetzt in zufriedener Selbstgenügsamkeit lebten, neue Bedürfnisse, neue Interessen zu wecken, damit diese in sich kreisende, gleichsam schlummernde Produktionsform aufgebrochen würde. Dieser Markt müsse wachgeküßt werden, sagte Morris in einem, wie Klügge fand, peinlichen Anfall von Poesie. Die Missionare der Rheinischen Mission täten schon das ihre dazu, führte Morris seine Argumentation weiter, der Kampf des Christentums gegen diesen Rinderkult sei aufgenommen, zugleich aber müsse man, und dabei berief er sich auf Adam Smith, eine entfaltete Form der Arbeit einführen, dann würde sich, bei entstehender Arbeitsteilung, auch der Markt entfalten. Klügge verlagerte sein Gewicht von der linken auf die rechte Arschbacke. Wo aber setze die erste Arbeitsteilung ein bei einem Volk, das noch nomadisierend hinter seinen Rinderherden herzöge, in denen die Arbeitsteilung also bei den Kühen und Stieren läge?
Klügge tupfte vorsichtig mit seinem Taschentuch auf sein Geschwür, was ihm etwas Nachdenkliches verlieh. Aber Morris hatte die Frage gar nicht an ihn gerichtet, denn er beantwortete sie sich sofort selbst: Im Diebstahl, genauer im Viehdiebstahl. Die einen züchten das Vieh, die anderen stehlen es. Man müsse die Hottentottenstämme, die schon immer die Herero bestohlen hätten, dazu bringen, vom gelegentlichen Mundraub zum systematischen Viehraub nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten überzugehen.
Klügge griff sich grübelnd mit Daumen und Zeigefinger an die geschwollenen Lymphdrüsen seines Unterkiefers.
Man müsse also zunächst das Selbstinteresse der Hottentotten wecken, neue Bedürfnisse erzeugen, übrigens ein sehr genußfähiges Volk, die Waren müßten ihnen zunächst auf Kredit überlassen werden, die
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