Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
Vom Netzwerk:
hinterlistiger Verstellung. Man kannte, wie sich sehr bald zeigte, überall genau den Wert eines Ziegenbocks, eines Schafes oder Rindes. Durch diese Gegend zogen viele Wanderhändler in den Norden. Hatte er früher gehofft, für ein Dutzend solider Hornknöpfe ein gut im Fleisch stehendes Rind eintauschen zu können, mußte er bald erfahren, daß er dafür nicht einmal ein abgemagertes Schaf bekam. Ja, er wurde sogar mehrmals schamlos reingelegt, so beispielsweise, als man ihm ein Rind verkaufte, das wenig später trotz guten Futters vom Fleisch fiel, schließlich verendete und, wie sich dann beim Schlachten herausstellte, einen fast achtzehn Meter langen Bandwurm im Gedärm hatte. Es war, als sei er in eine verkehrte Welt gekommen. Nur in den federnden, entspannten Bewegungen der Mädchen war noch etwas von jener schönen Wildheit, von der er in dem Düsseldorfer Kontor geträumt hatte.
    Eines Tages spürte Klügge eine kleine Verhärtung an der Unterlippe, ein Knötchen, das aufzudrücken nicht gelang. Schon hatte er sich daran gewöhnt, nagte auch nicht mehr mit den Zähnen daran, als sich auf einmal ein kleines dunkelrotes Geschwür mit scharfen Rändern nässend öffnete. Die Lymphknoten am Unterkiefer schwollen an, knorpelhaft und rundlich konnte Klügge sie mit den Fingerspitzen ertasten. Eine Angewohnheit, die er bis zu seinem Tode beibehielt. Er griff sich, wenn er über etwas nachdachte, mit Zeigefinger und Daumen an den Unterkiefer, als wolle er sich selbst erwürgen. So sah man ihn oftmals, die Hand an der Kehle, grübelnd in sich versunken stehen.
    Anläßlich eines Aufenthalts in Kapstadt – das Geschwür hatte sich fast wieder geschlossen – konsultierte Klügge einen Arzt, der ihm bestätigte, daß es sich um Syphilis handle, und ihm eine Kur mit Quecksilbersalbe verschrieb.
    Klügge zog Bilanz. Der Handel mit Knöpfen, Töpfen und Pfannen (er hatte auch Messer und Äxte in sein Angebot aufgenommen) erbrachte nicht den erhofften Gewinn. Es würde Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte dauern, bis er das notwendige Kapital für seine geplanten größeren Unternehmen zusammen haben würde. Das lag an der Armut der Bevölkerung, aber auch an einer charakterlichen Knauserigkeit und einer entsprechenden Gerissenheit, in der Klügge etwas Jüdisches zu erkennen glaubte, was so verwunderlich nicht war, da die Hottentotten ja semitischer Abstammung waren, wie ihm ein schwedischer Professor in Kapstadt erklärte. Entscheidender aber war für den schlechten Gang der Geschäfte diese schier unglaubliche Haltbarkeit der Dinge, die er verkaufte. Das war ihm früher nie bewußt geworden. Aber jetzt, wenn er nach einem Jahr in eine Eingeborenenwerft zurückkam, wurden ihm mit strahlender Zufriedenheit die Pfannen und Töpfe gezeigt, die man tauschweise von ihm erworben hatte. Ein paar Beulen, ein paar Kratzer, das war alles. Aus diesen Töpfen, das sah Klügge, würde auch die nächste Generation noch essen. Auch die Knöpfe nutzten sich kaum ab. Hin und wieder, aber nur selten, zerbrach mal einer, und dann wurde, ohne jeglichen Sinn für Symmetrie, einfach ein Knopf von anderer Farbe und Größe angenäht. Hinzu kam die ärgerliche Angewohnheit der Eingeborenen, einen Knopf, den sie verloren hatten – und das kam häufiger vor –, so lange zu suchen, bis sie ihn wiederfanden. Dabei beteiligten sich dann fast alle alten Frauen und Männer, die Kinder und die Köter. Das war, auch wenn es Stunden oder gar Tage dauerte, eine richtige Volksbelustigung, die in eine kleine Feier ausartete, hatte man den Knopf endlich gefunden. Dieses verschwenderische Umgehen mit der Zeit machte jegliche langfristige geschäftliche Planung unmöglich. Man wollte nur das Notwendigste und ansonsten in den Tag hineinfaulenzen.
    Klügge mußte einsehen, alle seine Kalkulationen waren falsch gewesen. Er hatte mit Dingen gehandelt, die er, aller Voraussicht nach, nur ein-, höchstens zweimal im Leben an ein- und dieselbe Person eintauschen konnte. Das große Geschäft war damit nicht zu machen. Ganz anders mit Pulver oder Branntwein. Einen Schuß aus einer Flinte beispielsweise konnte man nur einmal abfeuern, egal ob der dann traf oder nicht. (Besser allerdings, er traf nicht.) Neues Pulver mußte dann auf die Pfanne, eine neue Kugel in den Lauf. Noch besser: Branntwein. Den billigsten Fusel soffen die Hottentotten, damit sie einen kräftigen Rausch bekamen. Aber schon am nächsten Tag war der Rausch verflogen, und sie sahen, wenn auch benommen,

Weitere Kostenlose Bücher