Morgaine 1 - Das Tor von Ivrel
zog Siptahs Sattelgurt fest, dann begann er mit verzweifelten Bewegungen die arme Mai zu satteln. Einen neuen Gewaltritt konnte die Stute nicht überstehen. Wenn sie noch lange gehetzt wurden, würde sie unter ihm zusammenbrechen. Es schmerzte ihn, dem Tier so etwas antun zu müssen; das Nhi-Blut in ihm liebte Pferde zu sehr, um sie so zu mißbrauchen, auch wenn Nhi in anderer Beziehung grausam sein konnten.
Liell legte dem Schwarzen persönlich den Sattel auf. »Ich bezweifle noch immer, daß sie bis ans Seeufer kommen«, sagte er.
»Ich verlasse mich lieber auf die Distanz«, antwortete Morgaine. »Tu, was du willst, Chya Liell.«
Damit schwang sie sich auf Siptahs Rücken, nachdem sie
Wechselbalg
an den gewohnten Platz am Sattel getan hatte, und stieß dem Grauen die Absätze in die Flanken.
Vanye versuchte aufzusteigen und zu folgen. Aber da hielt Liell ihn am Arm fest, brachte ihn aus dem Gleichgewicht, so daß er taumelte und den Mann entrüstet anblickte.
»Folge ihr nicht!« zischte Liell. »Hör mich an! Sie raubt dir die Seele, ehe sie mit dir fertig ist, Chya. Hör auf meine Worte.«
»Ich bin
ilin«,
protestierte er. »Ich habe keine andere Wahl.«
»Was bedeutet schon ein Schwur?« flüsterte Liell eindringlich, während Siptahs Huf schlag verklang. »Sie strebt nach der Macht, die Mittelländer zu vernichten. Du weißt nicht, welcher unvorstellbar bösen Kraft du deine Hilfe leihst. Sie lügt, Chya Vanye, sie hat schon einmal gelogen, und das hat Koris und Baien und die besten Klans ruiniert und Morij-Yla den Tod gebracht.
Willst du ihr helfen? Willst du dich gegen deine eigenen Leute wenden? Der
ilin-
Eid verlangt, daß du die Familie, deinen Herd verrätst, nicht aber den
liyo.
Besagt er aber, daß du dich gegen deine eigene Art stellen mußt? Komm mit mir, komm mit, Chya Vanye!«
Für einen nicht mehr jungen Mann hatte Liell überraschend kräftige Finger; der Griff unterbrach den Strom des Blutes in Vanyes Arm. Die Augen glitzerten eisig in der Dunkelheit. Die Verfolger kamen näher.
»Nein!« rief Vanye, riß sich los und begann aufzusteigen. Plötzlich explodierte ein Schmerz an seiner Schädelbasis.
Die Welt drehte sich vor seinen Augen, und er sah kurz Mais Bauch über sich, als die Stute sich aufrichtete. Sie sprang über ihn und schaffte es, ihn nicht mit den Hufen zu treffen; er krabbelte halb geblendet das Erdreich am Seeufer empor und versuchte sein Schwert zu ziehen.
Doch schon war Liell über ihm, zerrte seine Hand vom Waffengriff, dicht davor, den Betäubten ganz zu überwältigen; aber der Gedanke, von Leth gefangen zu werden, spornte ihn zu wilder Aktivität an. Ohne einen Versuch der Verteidigung drehte er sich um, wollte freikommen, wollte an Morgaines Seite reiten und seinen Eid halten, um seines Seelenfriedens willen, das war alles. Mai konnte er nicht mehr erreichen; dafür aber den Schwarzen. Er sprang in den Sattel, spornte das Tier an, noch ehe er die Zügel fest gegriffen hatte, raffte sie schließlich zusammen und beugte sich im Sattel vor, um das Gleichgewicht nicht noch zu verlieren. Lange schwarze Beine zuckten durch die Dunkelheit, Muskeln streckten und beugten sich, das Tier übersprang Hindernisse, raste plätschernd durch Ausbuchtungen des Sees, stürmte Uferhänge hinauf.
Dann wollte der Schwarze nicht mehr, ein gutes Stück den Weg hinauf: wieder spornte Vanye ihn mit den Hacken an, gnadenlos in seiner Angst. Das Tier nahm sich zusammen und galoppierte weiter.
Vor ihm tauchte Morgaines helle Gestalt auf. Endlich schien sie ihn zu hören: sie drehte sich um, trieb Siptah zu schnellerer Gangart an, und er rief verzweifelt hinter ihr her, ließ den Schwarzen seinerseits schneller dahinrasen.
Und endlich verhielt sie ihr Tier, zog die Zügel an, die Waffe in der Hand, bis er nahe heran war.
»Vanye!« rief sie leise, als er neben ihr verhielt. »Seid Ihr auch noch ein Dieb? Was ist mit Liell?«
Er betastete seinen Nacken und machte dort trotz der Lederkappe eine empfindliche Stelle aus. Ein Schwindelgefühl hüllte ihn ein – ob es auf den Schlag oder das Fieber zurückzuführen war, wußte er nicht.
»Liell ist nicht dein Freund«, sagte er.
»Hast du ihn getötet?«
»Nein«, antwortete er schweratmend und verharrte einen Augenblick lang zusammengekrümmt über dem Sattelhorn, bis er wieder klar sehen konnte. Dann trieb er den Schwarzen zu leichter Gangart an, während Siptah Schritt hielt; kein Pferd, das die weite Strecke von Ra-leth im Galopp
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