Morgaine 1 - Das Tor von Ivrel
Traurigkeit, eine Anziehung, die Vertrauen forderte. Die kräftigen Finger drückten sich in seine Schulter, intim und zwingend zugleich.
»Nein«, sagte er. Es fiel ihm schwer, die Worte über die Lippen zu bringen. »Ich bin
ilin.
Ich gehorche nur ihr. Ich arrangiere nichts für sie, das muß sie selbst tun, wenn sie will.«
Und er entzog sich Liells Griff und ging zur Tür, seine zitternde Hand verfehlte den Riegel, öffnete ihn dann doch und schloß die schützende Tür hinter sich. Morgaine blickte ihn fragend, ja sogar besorgt an. Er schwieg. Er fühlte sich unwohl und war besorgt, daß er Liell hätte trauen sollen, und doch zugleich froh, daß er es nicht getan hatte.
»Wir müssen hier fort«, drängte er. »Schnellstens!«
»Wir müssen noch einiges in Erfahrung bringen«, antwortete sie. »Ich habe erst die Ansätze von Antworten auf meine Fragen. Ich brauche den Rest auch noch. Das klappt aber nur, wenn wir bleiben.«
Dagegen gab es keine Widerrede. Er rollte sich neben dem Kamin zusammen, eine kleine, qualmende Feuerstelle, die den Raum über eine Zuführung erwärmte. Damit überließ er ihr das Bett, sollte sie darauf Wert legen.
Aber sie tat es nicht. Wieder schritt sie auf und ab. Endlich zeichnete sich in ihrer Unruhe eine Art Rhythmus ab, und das regte ihn nicht länger auf. Als er allmählich daran gewöhnt war, kam sie dann doch zur Ruhe. Er sah sie am Fenster stehen und durch einen Spalt des Fensterladens in die Dunkelheit hinausspähen, eine Öffnung, die einen kühlen Luftzug in den Raum ließ.
»In der Leth-Burg scheint niemand je richtig zu schlafen«, sagte sie schließlich, als er sich umgedreht hatte, um zu verhindern, daß seine Gelenke steif wurden. »Da unten im Schnee bewegen sich Fackeln.«
Er seufzte eine Antwort und wandte unbehaglich den Blick ab, während sie sich vom Fenster fortdrehte und das Bett aufzudecken begann. Sie ließ die Robe von den Schultern gleiten und legte sie über das Fußende. Dann öffnete sie die Gürtel und hängte sie über den Bettpfosten, darüber die Stofftunika und das feine Kettenhemd, das für sich in der heutigen Zeit viel wert war. Dann legte sie die Stiefel und ihre warme lederne Untertunika ab und reckte sich schließlich wohligbefreit vom Gewicht der Rüstung, schlank und fraulich in Reithosen und dünnem Hemd. Er wandte den Blick ein zweites Mal ab, starrte ins Leere und hörte, wie sie es sich im Bett bequem machte.
»Du brauchst nicht so scheu zu sein«, murmelte sie, als er wieder hinblickte. »Du kannst deine Hälfte gern in Besitz nehmen.«
»Es ist warm genug hier«, antwortete er, obwohl ihn der harte Boden drückte. Am liebsten hätte er sie nicht so gesehen. Das Angebot war ernst gemeint, aber hinter ihrem Angebot steckte nicht mehr als die Worte aussagten; das wußte er und legte es ihr nicht zur Last. Er saß am Feuer, ein
ilin,
und versuchte sich diesen Status vor Augen zu führen, die Arme fest um die Knie verschränkt, bis ihm die Muskeln weh taten. Diener dieser Frau. Hinter ihr gehend. Ohne Rüstung neben ihr zu liegen war nur so lange harmlos, wie sie es harmlos zu lassen gedachte.
Qujal.
Er hielt an diesem Gedanken fest, kühlte sein Blut an dieser Erinnerung.
Qujal
und tödlich. Für einen Mann von menschlicher Abkunft war es nicht ratsam, anders zu denken.
Ihm fielen Liells drängende Worte ein. Die Vernunft in den Augen des Mannes zog ihn an, machte Hoffnungen, beruhigte ihn in dem Gefühl, daß irgendwo Umsicht und Verstand herrschten. Immer stärker bedauerte er, daß er den anderen nicht angehört hatte. Seine Gesundheit reichte als Vorwand für den weiteren Verbleib in Ra-leth nicht mehr aus. Das Fieber hatte nachgelassen. Er untersuchte die Hand, die ihre Arzneien zu spüren bekommen hatte, stellte fest, daß die Wunde verschorft und nur noch wenig gerötet war, die Schwellung verschwunden. Er fühlte sich schwach in den Gelenken, konnte aber reiten. Sie hatten keinen Vorwand mehr, noch länger zu bleiben, doch sie wollte etwas von Kasedre und seinen verrückten Mannen, etwas, das wichtig genug war, um ihrer beider Leben aufs Spiel zu setzen.
Unerträglich. Er empfand Sympathie für Liell, einen Mann der Vernunft, der in diesem Alptraum leben mußte. Er begriff, daß ein solcher Mensch sich nach etwas anderem sehnen mochte und nicht wollte, daß ein anderer normaler Mensch ebenfalls in die Falle ging.
»Lady.« Er ging zu ihr, kniete neben dem Bett nieder, riß sie aus dem Schlaf. »Lady, wir sollten hier
Weitere Kostenlose Bücher