Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan
von dir verlange: Töte ihn und führe durch, was ich dir gezeigt habe, ohne Ende, ohne Ende,
ilin!
Willst du das für mich tun?«
»Ja«, sagte er endlich und fügte verbittert hinzu: »Ich muß.«
»Nimm Kithan und Jhirun mit: denk dir eine Geschichte aus, die Roh glauben kann, daß Ohtij-in gefallen ist, daß Kithan dich freigelassen hat, verschweige meine Rolle dabei. Laß ihn glauben, daß du am Ende deiner Möglichkeiten bist. Wirf dich ihm zu Füßen, erflehe seinen Schutz. Tu, was nötig ist, doch bleib am Leben und tritt durch das Tor und führe meine Befehle aus, bis ans Ende deines Lebens, Nhi Vanye, und darüber hinaus, wenn ihr es irgendwie möglich machen könnt.«
Einen langen Augenblick sagte er nichts; ihm wären die Tränen gekommen, wenn er zu sprechen versucht hätte, und in seinem Zorn wollte er diese neue Schande nicht ertragen müssen. Dann sah er eine feuchte Bahn auf ihrer Wange, und diese Entdeckung erschütterte ihn mehr als alle ihre Worte.
»Entledige dich der Ehrenklinge«, sagte sie. »Das würde ihn Fragen stellen lassen, die du nicht beantworten kannst.«
Er zog den Dolch und gab ihn ihr. »Beschütze mich«, murmelte er, und das Wort blieb ihm beinahe in der Kehle stecken; sie antwortete auf die Anrufung und steckte sich die Waffe in den Gürtel.
»Behalte deine Gefährten im Auge«, sagte sie.
»Ja«, antwortete er.
»Geh! Beeil dich!«
Er hätte sich vor ihr verneigt, ein
ilin,
beim letzten widerstrebenden Abschied; doch sie verhinderte dies, indem sie ihm die Hand auf den Arm legte. Die Berührung lähmte ihn: einen Augenblick lang zögerte er, während etwas in ihm überströmte und ausgesprochen werden wollte, und sie beugte sich überraschend vor und legte die Lippen auf die seinen, eine leichte, flüchtige Berührung, schnell vorüber. Die Geste raubte ihm die Sprache; der Augenblick verging, und sie machte kehrt und griff nach den Zügeln ihres Pferdes. Was er hätte sagen wollen, kam ihm plötzlich wie ein Flehen für sich selbst vor, das sie nicht hören wollte; es würde einen Streit geben, und das war nicht der Abschied, den er sich vorstellte.
Er sprang in den Sattel, und sie tat es ihm nach und ritt mit ihm bis zur Kreuzung der Straße und bis zu dem Torbogen, der nach Abarais führte, wo Jhirun und Kithan warteten.
»Wir reiten weiter«, sagte er zu ihnen, die Worte klangen ihm seltsam und häßlich in den Ohren. »Wir drei.«
Die beiden blickten ihn verwirrt und bestürzt an. Sie sagten nichts, stellten keine Fragen, vielleicht errichtete ihr Anblick,
ilin
und
liyo,
eine Barriere für sie. Er wendete sein Pferd in den Durchgang hinein, in die Dunkelheit, und sie ritten mit. Plötzlich blickte er zurück, besorgt, daß Morgaine schon verschwunden sein könnte.
Aber sie war es nicht. Sie war ein Schatten, sie und Siptah, vor dem Licht dahinter, wartend.
Fwar und seine Leute, wer immer von seiner Horde noch auf den Beinen sein würde, waren im Anmarsch. Plötzlich begriff er ihr Denken: die Barrower, die sie schon einmal geführt hatte — vor langer Zeit. Zwischen ihnen bestand ein Band, ein böser Traum, in ihrer Erinnerung noch ganz frisch, eine Bindung neben
Wechselbalg.
Er erinnerte sich an Morgaine am Suvoj, wie sie einen Mann nach dem anderen ins Nichts schleuderte — und an den Ausdruck in ihren Augen.
Sie waren deine Leute,
hatte Kithan eingewandt; selbst als
qujal
war er über ihr Handeln entsetzt gewesen. Sie folgten ihr; jetzt wartete sie auf sie, so wie er immer wieder befürchtet hatte, daß sie sich umwenden und ihnen entgegentreten würde, ihr ureigner Alptraum, der sie nicht loslassen wollte.
Sie wartete, während das Tor Anstalten machte, sich zu verschließen. Hier hörte sie auf zu fliehen und legte ihm ihre ganze Last auf. Tränen ließen die Umwelt verschwimmen, einen verrückten Moment lang spielte er mit dem Gedanken, zurückzureiten, abzulehnen, was sie ihm aufgetragen hatte.
Und das würde sie ihm nicht verzeihen.
Sie ritten aus dem Durchgang ins Licht des aufsteigenden Li und sahen das Tal von Abarais vor sich, die zerklüfteten Spitzen von Ruinen und in großer Ferne Lagerfeuer, die sich wie Sterne über die Hänge breiteten: die Massen von Shiuan.
Er blickte zurück: er konnte Morgaine nicht mehr entdecken. Er stieß dem Wallach die Hacken in die Seiten und führte seine Gefährten auf die Feuer zu.
18
Die riesige Scheibe von Li senkte sich dem Horizont entgegen. Eine Wolke befleckte den Himmel an jener Grenze, und
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