Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan
andere Wolkenfetzen trieben über die Mondbahn hoch über ihnen.
Das Licht des untergehenden Mondes reichte aus für einen schnellen Ritt — doch auch für ihre Feinde. Sie waren deutlich zu sehen, von den Klippen aus, die zu beiden Seiten der Straße über den Ruinen aufragten. Sie mußten ständig mit einem Hinterhalt rechnen: diese Angst aber war seltsam entrückt in Vanye, er hatte Angst nicht um sich, sondern um die Befehle, die ihm gegeben worden waren — das einzige, das ihm geblieben war, sagte er sich, das eine Sorge wert war. Daß jeden Augenblick ein Pfeil von den Klippen herbeifliegen und Leder und Kettenhemd und Knochen durchschlagen konnte — dieser Schmerz war unbedeutend und schnell überstanden, ganz im Gegenteil zu dem anderen, das ewig anhalten würde.
Bis du keine andere Wahl mehr hast,
hallten ihre Worte in ihm, ein beharrlicher Kummer, eine Tatsache, die sich nicht abstreiten ließ.
Bis du keine andere Wahl mehr hast — so wie ich keine mehr habe.
Einmal richtete Jhirun das Wort an ihn; er wußte nicht, was sie gesagt hatte, es war ihm auch gleichgültig; er starrte sie nur an, und sie verstummte, und Kithan blickte ihn ebenfalls an, die hellen Augen nüchtern und wach, gereinigt von dem
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das seine Sinne verwirrt hatte.
Und die Wachfeuer kamen näher, breiteten sich wie ein Sternenfeld vor ihnen aus, zornrote Konstellationen, die ihnen den Weg versperrten und die endlich wie die Ebenbilder am Himmel mit den ersten Vorboten des Tages zu verblassen begannen. »Wir haben keine andere Möglichkeit«, sagte Vanye zu seinen Gefährten, als er erkannte, daß die Zeit knapp wurde. »Wir müssen uns meinem Cousin ergeben und auf seine Großzügigkeit hoffen.«
Sie schwiegen, Jhirun neben ihm, Kithan dahinter. Auf ihren Gesichtern zeigte sich dieselbe beherrschte Angst, die sie offenbart hatten, seit sie hastig und ohne Erklärung aus An-Abarais fortgeritten waren. Sie stellten noch immer keine Fragen, verlangten auch keine beruhigenden Erklärungen. Vielleicht wußten sie bereits, daß er keine zu geben hatte.
»In An-Abarais«, fuhr er fort, während sie im Schritt weiterritten, »erfuhren wir, daß wir keine Wahl mehr hatten. Meine Herrin hat mich freigegeben.« Er unterdrückte das Zittern, das sich in seine Stimme schleichen wollte, biß die Zähne zusammen und arbeitete weiter an der Lüge, die er Roh vortragen würde. »Sie besitzt ein weicheres Herz, als man vermuten könnte — für mich, wenn nicht für euch. Sie weiß, wie die Dinge stehen, daß Roh mich vielleicht akzeptiert, sie aber auf keinen Fall. Ihr bedeutet ihr nichts; ihr seid ihr gleichgültig. Roh aber haßt Morgaine vor allen anderen Feinden; und je weniger er davon weiß, was sich wirklich in Ohtij-in ereignet hat, um so bereitwilliger wird er mich aufnehmen — und euch. Wenn er weiß, daß ich direkt von ihr komme — und ihr ebenfalls —, wird er mich bestimmt töten; dabei empfindet er Zuneigung für mich. Ihr könnt euch selbst ausrechnen, wie lange er bei euch zögern würde.«
Noch immer sagten die beiden nichts; doch die Angst in ihrem Blick war nicht geringer geworden.
»Bestätigt ihm, daß Ohtij-in dem Erdbeben zum Opfer gefallen ist«, sagte er, »und daß die Sumpfbewohner angegriffen haben, nachdem Aren gefallen war — sagt von der Wahrheit, was euch beliebt, laßt ihn aber nicht wissen, daß wir An-Abarais betreten haben. Nur sie hätte diese Tür passieren und erfahren können, was sie tatsächlich erfuhr. Vergeßt, daß sie bei uns war, sonst werde ich sterben, und ich glaube nicht, daß ich dann der einzige wäre, der das Leben verlöre.«
Bei Jhirun war sich Vanye sicher; zwischen ihnen bestand eine Schuld. Doch zwischen ihm und Kithan bestand ein anderes Verhältnis; er fürchtete den
qujal,
und ihn benötigte er am dringendsten, um seine Lüge als Wahrheit zu bestätigen.
Das wußte Kithan auch genau: in seinen unmenschlichen Augen zeigte sich ein Bewußtwerden der Macht und ein selbstgefälliges Amüsement.
»Und wenn nicht Roh die Befehle gibt«, sagte Kithan, »wenn nun Hetharu das Kommando führt, was soll ich dann sagen, Mensch?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Vanye. »Aber ein Vatermörder würde kaum davor zurückschrecken, einen Bruder zu töten; und er würde nichts mit dir teilen wollen ... es sei denn, er liebt dich sehr. Meinst du, das wäre der Fall, Kithan Bydarras-Sohn?«
Kithan dachte über die Frage nach, und der selbstgefällige Ausdruck verschwand schnell
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