Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan
nickte ausdruckslos, die Sinne noch von Lärm und Licht überschwemmt und von dem entsetzlichen Wissen, das sie ihm eingegeben hatte.
Er besaß etwas, das zu erringen Menschen und
qujal
gemordet hatten; und er wollte es nicht, mit ganzem Herzen wollte er es nicht. Noch immer blind, stützte er sich mit den Händen an der Wand ab; als einziges vermochte er das Licht zu sehen, das Morgaine bei sich hatte. Er spürte rauhe Steine unter den Fingerspitzen, fühlte die Stufen unter seinen Füßen; und noch immer war sein Verstand geblendet von den Dingen, die er gesehen und gefühlt hatte. Er wünschte, dies alles wäre ihm nicht widerfahren, wußte aber, daß es zu spät war, daß er auf eine Weise in Anspruch genommen worden war, die keinen Ausweg, keine Freiheit mehr zuließ.
Endlos ging es die gewundene Treppe hinab, bis er das Stampfen und Schnauben der Pferde hörte — freundliche, vertraute Laute, zu dem Manne gehörig, der die Treppe erstiegen hatte; es war, als käme nun ein völlig anderer Mensch die Stufen herab, ein Mann, der sich im ersten Augenblick nicht vorstellen konnte, daß es die Dinge, die er außerhalb dieses schrecklichen Raums kannte, wirklich noch gab, unberührt, unbeeinflußt von dem, was ihn erschüttert hatte.
Morgaine löschte das Licht in ihrer Hand, als sie die letzte Stufe verließen, und Jhirun kam herbei, geflüsterte Fragen heraussprudelnd — ihre angstvolle Stimme, ihr erschrockenes Verhalten erinnerten Vanye daran, daß sie das Schrecknis dieses Ortes ebenfalls ertragen hatte — und ohne zu wissen, was es hier zu finden gab. Er beneidete sie um ihre Ahnungslosigkeit und berührte ihre Hand, als sie ihm die Zügel seines Pferdes zurückgab.
»Kehre um!« sagte er zu ihr. »Myya Jhirun, reite den Weg zurück, den wir gekommen sind, und verstecke dich irgendwo.«
»Nein«, sagte Morgaine plötzlich.
Verblüfft sah er sie an, verblüfft, bestürzt; in der Dunkelheit vermochte er ihren Gesichtsausdruck nicht zu deuten.
»Komm mit nach draußen!« sagte sie und führte Siptah durch die Tür, im Mondlicht auf sie wartend. Vanye sah Jhirun nicht an, hatte er doch keine Antwort für sie parat; er führte den Wallach ins Freie und hörte Jhirun hinter sich.
»Jhirun«, sagte Morgaine, »geh und bewache mit Kithan die Straße.«
Jhirun blickte zwischen den beiden hin und her, wagte aber keine Widerrede: sie machte Anstalten, sich zu entfernen, sie führte ihr Pferd durch den langen Gang aus geneigten Felsnadeln zu der Stelle, an der Kithan wartete, ein Schatten unter Schatten.
»Vanye«, sagte Morgaine leise. »Würdet Ihr zu ihm gehen? Würdet Ihr auf sein Angebot eingehen?«
»Nein«, antwortete er sofort. »Nein, bei meinem Eid, nein!«
»Schwöre mir nicht zu schnell«, sagte sie; und als er widersprechen wollte, fuhr sie fort: »Hör mich an! Dies ist ein Befehl — geh zu ihm, ergib dich ihm, begleite ihn.«
Im ersten Augenblick vermochte er nicht zu antworten; die Worte blieben ihm im Halse stecken, weigerten sich, über die Lippen zu kommen.
»Mein Befehl«, wiederholte sie.
»Du willst mich täuschen«, sagte er, unwirsch, empört, daß sie ihn nicht ins Vertrauen zog, daß sie so mit ihm spielte. »Du bist voller Tücke. Ich glaube nicht, daß ich das verdient habe,
liyo.«
»Vanye — wenn ich nicht selbst hindurch kann, muß einer von uns gehen. Ich bin zu gut bekannt, ich bringe dir die Vernichtung. Aber du — geh mit ihm, laß dich in seinen Dienst verpflichten; lerne, was er dir beibringen kann und ich nicht. Dann töte ihn und mach weiter, wie ich weitermachen würde.«
»Liyo«,
protestierte er. Ein Schaudern ergriff seine Gliedmaßen; er wickelte die kalten Finger in die Mähne des schwarzen Pferdes, denn alles, worauf er gebaut hatte, wich unter seinen Füßen, so wie die Berge an jenem Morgen hinter dem Tor verschwunden waren, eine häßliche, nackte Szene zurücklassend.
»Du bist ein
ilin«.,
sagte sie. »Und du trägst keine eigene Verantwortung.«
»Soll ich Brot und Gastfreundschaft entgegennehmen und den Mann dann töten?«
»Habe ich dir je versprochen, ich wäre ehrenvoll? Im Gegenteil, würde ich sagen.«
»Den Eid zu brechen,
liyo...
sogar ihm gegenüber ...«
»Einer von uns«, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen,
»einer
von uns muß durch. Bleibe mir im Geiste verschworen, doch laß deinen Mund sagen, was immer erforderlich ist. Er wird dich nicht verdächtigen. Er wird dir mit der Zeit vertrauen. Und das ist der Dienst, den ich
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