Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan
hatten sie wenigstens ein Minimum an Schutz, obwohl sich Vanyes Kurshin Seele wegen der Erbauer entsetzte: uralte Steine, die einmal die Ecke eines riesigen Saalbaus gewesen waren, dazu die Überreste eines Torbogens. Das graue und das schwarze Pferd grasten an dem flachen Hang, der sich hinter der Ruine erhob, und das struppige Pony war zur eigenen Sicherheit ein Stück davon entfernt angebunden. Die schwarzen Tiere waren Schattenrisse hinter den Bäumen, und der graue Siptah wirkte im Nebel wie ein Gespenst: drei Gestalten, die hinter einem Schirm aus feuchtigkeitsschweren Ästen nach Belieben umherstampften und grasten.
Der braune Schal des Mädchens trocknete auf einem Stein am Feuer. Vanye drehte den Stoff herum, damit er auch von der anderen Seite trocknete; dann begann er Äste ins Feuer zu legen, aber das Holz war dermaßen feucht, daß es knackte und wütend zischte und bittere Rauchwolken aufsteigen ließ. Doch nach wenigen Minuten flammte das Feuer auf, und Vanye entspannte sich dankbar in der Wärme — er nahm den weißumhüllten Helm ab, schob die Lederkapuze zurück und ließ sein braunes Haar herabfallen, das an der Kinnlinie abgeschnitten war; er kannte keinen Kriegerzopf — dieses Recht hatte er zusammen mit seiner Ehre verloren.
Mit über den Knien verschränkten Armen saß er da und starrte das Mädchen an, das in Morgaines weißem Mantel lag und von Morgaine versorgt wurde. Ein warmer Mantel, ein trockenes Lager, eine Satteltasche als Kissen: mehr konnte sie für das Kind nicht tun, das so wenig aus sich herausging. Er glaubte schon, der Sturz habe ihr für immer den Verstand geraubt, denn immer wieder wurde ihr Körper heftig durchgeschüttelt, während sie nichts sagte, sondern die beiden nur mit wilden, verrückten Blicken anschaute. Aber sie schien sich beruhigt zu haben, seit er zum Holzholen geschickt worden war — dies mochte einen Wandel zum Besseren oder Schlechteren ankündigen.
Als er sich durchgewärmt hatte, stand er auf und kehrte leise an Morgaines Seite zurück, von der er verbannt worden war. Er wunderte sich, daß Morgaine dem Kind soviel Aufmerksamkeit schenkte, konnte sie doch nur wenig für die Fremde tun — und rechnete schon damit, daß sie ihn zum Feuer zurückschicken würde.
»Sprich du mit ihr«, sagte Morgaine leise, was ihn sehr bestürzte; und als sie ihm aufstehend Platz machte, kniete er nieder und fühlte sich sofort von dem Blick des Mädchens gebannt — verrückte, sanfte Augen, wie die eines wilden Tiers. Das Mädchen murmelte etwas in klagendem Ton und griff nach ihm; er gab ihr die Hand und spürte unbehaglich die weichen Finger, die sich um die seinen schlössen.
»Sie hat dich gefunden«, sagte sie, ein bloßer Hauch, Worte mit Akzent, schwer zu verstehen. »Sie hat dich gefunden, und hast du nun keine Angst? Ich dachte, ihr wärt Feinde.«
Da wußte er Bescheid. Die Worte erfüllten ihn mit großer Kälte im Bewußtsein Morgaines hinter sich. »Du hast meinen Cousin getroffen«, sagte er. »Er heißt Chya Roh — und trägt noch andere Namen.«
Ihre Lippen zitterten, und sie sah ihn mit einem Blick des Erkennens an. »Ja«, sagte sie schließlich. »Du bist anders: das sehe ich jetzt.«
»Wo ist Roh?« fragte Morgaine.
Die Drohung in ihrer Stimme erweckte die Aufmerksamkeit des Mädchens. Sie versuchte sich zu bewegen, doch Vanye ließ ihre Hand nicht los. Ihre Augen wandten sich wieder in seine Richtung.
»Wer seid ihr?« fragte sie. »Wer bist du?«
»Nhi Vanye«, antwortete er in Morgaines Schweigen, denn er hatte sie vom Pferd gezerrt, wofür er ihr mindestens seinen Namen schuldete: »Nhi Vanye i Chya. Und wer bist du?«
»Jhirun Elas-Tochter«, antwortete sie und fügte hinzu: »Ich reite nach Norden, nach Shiuan —«, als wäre dies und sie untrennbar.
»Und Roh?« Morgaine ließ sich auf ein Knie sinken und ergriff ihren Arm. Jhiruns Hand verließ die seine. Einen Augenblick lang starrte das Mädchen mit zitternden Lippen in Morgaines Gesicht.
»Laß los«, bat Vanye seine Herrin. »Liyo — laß los!« Morgaine gab mit heftiger Bewegung den Arm des Mädchens frei, stand auf und schritt zum Feuer. Einen Augenblick lang starrte Jhirun in diese Richtung, ihr Gesicht war starr vor Schock.
»Dai-khal,
murmelte sie schließlich.
Dai-khal,
in der Hochklansprache
qujal —
soviel verstand Vanye durchaus. Er folgte Jhiruns Blick zu Morgaine, die am Feuer saß, schlank, in schwarzes Leder gekleidet, das Haar ein schimmernder heller Fleck
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