Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan
im Feuerschein. Hier waren die Alten also auch bekannt und gefürchtet.
Er berührte das Mädchen an der Schulter. Sie zuckte zusammen. »Wenn du weißt, wo Roh ist, sag es uns.«
»Ich weiß es nicht.«
Er nahm die Hand zurück, während das Unbehagen in ihm wuchs. Ihr Akzent war seltsam; er haßte diesen Ort und die Ruinen — dieses ganze verwunschene Land. Es war ein Traum, in dem er irgendwie festsaß; dennoch hatte er Fleisch berührt, als er gegen sie ritt, und sie blutete; er zweifelte nicht daran, daß auch er hier bluten konnte, daß er hier sterben mochte unter diesem verrückten bleiernen Himmel. Schon in der ersten Nacht, in der sie herumgeirrt waren, hatte er sich in der Welt umgeschaut und gebetet; immer mehr fürchtete er, daß das in diesem Land eine Blasphemie war, daß diese öden, ertrinkenden Hügel die Hölle waren, in dem alle verlorenen Seelen einander erkannten.
»Als du mich mit ihm verwechseltest«, fuhr er fort, »sagtest du, du wolltest mich finden. Dann ist er also auf dieser Straße.«
Sie schloß die Augen, wandte das Gesicht ab und entließ ihn, so schwach wie sie war und mit dem Schweiß des Schocks auf der Stirn. Solchen Mut mußte er anerkennen, immerhin war sie ein Bauernmädchen, während er früher Krieger des Nhi-Klans gewesen war. Aus Angst, aus Entsetzen vor dieser Hölle war er auf sie und ihr kleines Pony mit der Kraft losgeritten, die er sonst gegen einen bewaffneten Krieger eingesetzt hätte, und es war reines Glück, daß sie sich nicht den Schädel eingeschlagen hatte, daß sie auf weiche Erde und nicht auf Gestein gefallen war.
»Vanye«, sagte Morgaine hinter ihm.
Er verließ das Mädchen und trat an die Seite seiner Herrin — dort setzte er sich in die Wärme des Feuers und legte die Arme über die Knie. Sie sah ihn stirnrunzelnd an; ob sie auf ihn ärgerlich war oder etwas anderes, wußte er nicht genau. In der Hand hielt sie einen kleinen Gegenstand, eine Goldfigur.
»Sie hat mit ihm zu tun gehabt«, sagte Morgaine mit zusammengepreßten Lippen. »Er ist hier irgendwo — durchaus möglich, daß er einen Hinterhalt vorbereitet hat.«
»Wir können die Pferde nicht weiter belasten.
Liyo,
wir können nicht vorausahnen, wem wir noch begegnen werden.«
»Sie weiß es vielleicht. Ganz sicher weiß sie es.«
»Sie hat Angst vor dir«, widersprach er leise.
»Liyo,
laß mich versuchen, sie auszufragen. Die Pferde brauchen Ruhe; wir haben noch Zeit, wir haben Zeit.«
»Was Roh berührt hat«, sagte sie, »ist nicht vertrauenswürdig. Denk daran. Hier, ein kleines Andenken.«
Er streckte die Hand aus in der Annahme, daß sie das Schmuckstück meinte. Eine Klinge blitzte in ihrer Hand auf, dann in seiner und erfüllte sein Herz mit Kälte, denn es war eine Ehrenklinge, die für den Selbstmord bestimmt war. Im ersten Augenblick glaubte er, die Waffe gehöre ihr, denn sie war Koris-Arbeit. Dann erkannte er seinen Irrtum.
Es war Rohs Klinge.
»Behalte sie«, sagte sie, »anstelle deiner Waffe.«
Unwillig ließ er die Klinge in die seit langem leere Scheide an seinem Gürtel gleiten. »Schütze uns«, murmelte er und bekreuzigte sich.
»Schütze uns«, sagte sie ihm nach und ging damit auf einen Glauben ein, von dem er nicht sicher wußte, ob sie ihn auch teilte, und machte die fromme Bewegung, die die Anrufung besiegelte, die Abwendung des Omens, das Unglück einer solchen Klinge. »Gib sie ihm zurück, wenn du möchtest. Das unschuldig wirkende Kind hatte die Klinge bei sich. Denk daran, wenn du sie sanft behandeln willst.«
Vanye wechselte aus der Hocke in den Schneidersitz, bedrückt von düsteren Gedanken. Das ungewohnte Gewicht der Klinge an seinem Gürtel war ein grausamer Spott, sicher nicht gewollt. Er war waffenlos; Morgaine dachte eben praktisch — und an andere Dinge.
Töte ihn,
das wollte sie ihm sagen:
Dies obliegt dir.
Er hatte die Klinge genommen, fehlte ihm doch der Wille, ihr zu widersprechen. Er hatte jedes Recht aufgegeben, sich zu weigern. Plötzlich fühlte er sich von einem engen Netz eingeschlossen: Roh, ein fremdes Mädchen, ein verlorener Dolch — ein Netz von häßlicher Kompliziertheit.
Morgaine streckte ein zweitesmal die Hand aus und reichte ihm die kleine Goldfigur, einen schön gearbeiteten Vogel mit ausgebreiteten Flügeln. Er schloß die Hand darum und ließ das Ding in seinen Gürtel gleiten.
Gib ihr dies zurück,
soviel verstand er und war damit einverstanden.
Du mußt mit ihr fertig werden.
Morgaine beugte sich vor und
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