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Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan

Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan

Titel: Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Cherryh
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gegeben. Sie waren ihnen nichts schuldig; doch sie lassen sie im Schutz der Tore leben. Du — du bist nicht so großmütig, du würdest sie sterben lassen, das Mädchen und alle anderen. Dasselbe Schicksal würdest du mir zudenken. Da ist die Schneide des Schwerts angenehmer, Cousin, als das Schicksal, dem dieses Land entgegengeht. Jeder Mord wäre angenehmer.«
    »Ich habe nichts zu tun mit dem, was diesen Leuten widerfährt. Ich kann ihnen nicht helfen oder ihnen schaden.«
    »Ach nein? Die Brunnen sind die Hoffnung dieser Menschen, Vanye. Für alle, die auf dieser Welt leben und leben werden, sind die Brunnen die einzige Hoffnung. Sie wissen nicht, wie man sie benutzt, doch durch die Brunnen könnten diese Leute überleben. Ich könnte damit umgehen. Morgaine bestimmt auch, aber sie wird es nicht tun, und das weißt du. Vanye, wenn die uralte Kraft so eingesetzt würde, wie sie schon einmal genutzt worden ist, sähe das Schicksal dieser Völker anders aus. Schau dir die Szene an, Cousin, und vergiß sie nicht.«
    Vanye blickte hinab. Er wollte sich an die Szene nicht erinnern, nicht an die verzweifelten Gesichter, die hinter dem Zaun der Piken getobt hatten, an die Arme, die flehentlich durch das Gitter gestreckt worden waren. »Das ist alles Lüge«, sagte er. »So wie du eine Lüge bist.«
    »Die Schneide des Schwerts«, forderte Roh ihn auf, »wenn du das wirklich fest glaubst.«
    Vanye hob Roh das Gesicht entgegen in dem Bestreben, die Wahrheit zu erkennen, etwas zu haben, das er hassen konnte, doch er fand nichts zum Angreifen, nur Roh, Spiegelbild seiner selbst, ihm ähnlicher als die eigenen Brüder.
    »Laß mich ziehen«, forderte er das Wesen heraus, das Rohs Gestalt innehatte, »wenn du glaubst, du kannst mich überzeugen. Wenigstens weißt du, daß ich zu meinem Eid stehe. Wenn du für Morgaine eine Nachricht hast, gib sie mir, und ich werde sie gewissenhaft ausrichten — wenn ich Morgaine finden kann, woran ich noch zweifle.«
    »Ich will dich nicht fragen, wo sie ist«, sagte Roh. »Ich weiß, wohin sie will, und ich weiß, daß du mir mehr auch nicht sagen würdest. Aber andere könnten dich fragen. Andere könnten dich —
fragen.«
    Vanye erschauderte bei dem Gedanken an die Versammlung in dem großen Saal, die bleichen Lords und Ladys, die der Menschheit nichts schuldig waren. Ein Sturz in die Tiefe war einfacher als das. Er trat an den Rand und versuchte zu ergründen, ob er den Mut dazu haben würde.
    »Vanye!« rief Roh und lenkte seine Aufmerksamkeit ab. »Vanye, es wird ihr nicht schwerfallen, diese Leute zu vernichten. Sie werden sie sehen, werden vertrauensvoll zu ihr eilen, weil sie blond ist — und sie wird sie töten. Das würde nicht zum erstenmal passieren. Glaubst du, die kennt Mitleid?«
    »Ich habe es in ihr erlebt«, antwortete er, und die Worte hauchten ihm beinahe unhörbar aus der Kehle.
    »Du kennst die Grenzen dieses Mitleids«, sagte Roh. »Du hast sie selbst gesehen.«
    Vanye fluchte laut, trat energisch von den Zinnen zurück und suchte die Tür, suchte Wärme, bemühte sich, die Flügel gegen die Kraft des Windes zu öffnen. Er riß die Tür auf, und Roh hielt sie fest und trat nach ihm ein. Die Fackeln im Turm flackerten heftig, bis die Tür zuknallte. Roh senkte den Riegel. Sie blieben auf entgegengesetzten Seiten des kleinen Korridors stehen und sahen sich an.
    »Sag ihnen, daß du mich nicht überreden konntest«, begann Vanye. »Vielleicht werden deine Gastgeber dir verzeihen.«
    »Hör zu!« sagte Roh.
    Vanye hakte das verhüllte Schwert los und schleuderte es über den Korridor; Roh fing es in der Mitte der Scheide auf und blickte ihn verwirrt an.
    »Gott möge mir verzeihen«, sagte Vanye.
    »Dafür, daß du keinen Mord begehst?« fragte Roh. »Das gehört nicht zusammen.«
    Vanye starrte Roh an, löste den Blick von ihm und eilte schließlich den Korridor entlang und die Rampe hinab. Weiter unten standen Wächter. Er blieb stehen, als sich ihm die Waffen der Männer entgegensenkten.
    Roh holte ihn ein und legte ihm die Hand auf den Arm. »Handle nicht voreilig! Hör mich an, Cousin! Boten werden losgeschickt, sind trotz des Unwetters bereits unterwegs und warnen das ganze Land vor ihr, jede Feste, jedes Dorf. Sie wird hier kein Willkommen finden.«
    Vanye riß sich los, doch Roh faßte nach. »Nein«, sagte Roh. Die Wächter warteten ab, behelmt, gesichtslos, die Waffen bereit. »Willst du dich wie ein Bauer behandeln lassen, der aufgeknüpft werden soll?«

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