Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan
Folgerungen daraus, eine Vorahnung, die ihm immer weniger gefiel.
»Seine Herrin?« fragte Hetharu. »Was hat er nun über sie zu sagen?«
»Nichts«, antwortete Roh. In dem langen Schweigen, das nun eintrat, klopfte Vanyes Herz aufgeregt. »Es bringt wenig«, fuhr Roh fort, »ihn in dieser Richtung auszufragen. Ich lasse es nicht zu, daß ihm etwas geschieht, mein Lord.«
Vanye hörte Rohs verteidigende Worte, verstand sie aber nicht, glaubte sie nicht; doch im gleichen Augenblick spürte er, daß Hetharu doch ein wenig auf der Hut war — eine Unsicherheit, die ihn davon abhielt, Roh Befehle zu geben.
»Du«, sagte Hetharu plötzlich und sah Vanye an, »du behauptest, du wärest durch die Brunnen gekommen?«
»Ja«, antwortete Vanye, der genau wußte, daß er um diese Antwort nicht herumkam.
»Und kannst du mit ihnen umgehen?« fragte der Priester mit heiserer Stimme. Vanye blickte in das Gesicht des Priesters und sah Sehnsucht darin, ohne zu wissen, wie er mit den Wünschen fertig werden sollte, die sich in diesem Raum zusammenballten und auf ihn und Roh gerichtet waren. Auf keinen Fall sollte er sterben, abgeschlachtet durch
qujal,
aus Gründen, die er nicht begriff, die mit ihm nichts zu tun hatten.
Er antwortete nicht.
»Du bist ein Mensch«, sagte der Priester.
»Ja«, antwortete er und merkte, daß der Priester am Gürtel ein Messer trug — eine seltsame Ausstattung für einen Priester — und daß die anderen ebenfalls alle bewaffnet waren. Der Priester trug eine Kette um den Hals — daran hingen Steinbrocken, Muscheln und Knochen. Das kam ihm irgendwie vertraut vor — Vanye erinnerte sich sofort, wo er eine solche Kette schon gesehen hatte, Tag für Tag, zusammen mit einem kleinen Steinkreuz, abgestumpft durch die Nähe solcher Dinge. Er starrte den Priester an, und der Zorn, den er gegen jede bewaffnete Gefahr zu schicken vermochte, wogte kühl im Gedanken an Teufel und Helfer, die ihnen dienten — und an den Zustand seiner Seele, die Morgaine diente und die sich mit einem Menschenmädchen zusammentat, das solche Gebilde um den Hals trug.
Sie sollten ihm nur den Priester fernhalten. Er löste den Blick von ihm, damit seine Angst nicht offenkundig wurde, damit die anderen keinen Ansatzpunkt gegen ihn fanden.
»Mensch«, sagte Hetharu und musterte ihn mit demselben starren Blick, »ist dies wirklich dein Cousin?«
»Die Hälfte von ihm war mein Cousin«, antwortete Vanye, um alle in Verwirrung zu stürzen.
»Ihr seht selbst, wie er die Wahrheit sagt«, warf Roh mit weicher Stimme ein, in der sich auch ein Hauch von Härte verbarg. »So etwas ist nicht immer zu seinen Gunsten, doch er ist geradeheraus: ein ehrlicher Mann, mein Cousin Vanye. Mit diesen Eigenschaften stürzt er viele Leute in Verwirrung, aber er ist schließlich ein Nhi; ihr versteht das natürlich nicht, doch er ist ein Nhi, und er kann gegen seine ausgeprägte Ergebenheit gegenüber der Ehre nicht an. Er sagt die Wahrheit. Damit schafft er sich Feinde. In aller Ehrlichkeit, Cousin, sag diesen Leuten, warum deine Herrin in dieses Land gekommen ist. Was hat sie vor?«
Vanye wußte nun, warum er bei diesen Männern war, daß er sich trotz aller Schlauheit in diese Situation hatte hineinlenken lassen. Er hätte von Anfang an den Mund halten sollen; jetzt würde sein Schweigen anklagend wirken, so überzeugend wie ein Geständnis. Er spannte die Muskeln an, doch sein Gehirn war wie gelähmt in einem Augenblick, da er es besonders dringend brauchte. Er hatte keine Antwort parat.
»Sie will die Quellen für immer verschließen und die Brunnen versiegeln«, fuhr Roh fort. »Sag mir, mein ehrlicher und ehrenwerter Cousin — ist das die Wahrheit oder nicht?«
Vanye beherrschte sich weiter und suchte verzweifelt nach einer Lüge, doch er war in dieser Kunst nicht versiert. Er brachte keine Unwahrheit zustande, die nicht sofort bloßgelegt worden wäre.
»Dann streite es ab«, schlug Roh vor. »Kannst du das tun?«
»Ich streite es ab«, reagierte Vanye, als Roh ihm das hinhielt, was er am dringendsten brauchte; und als die Worte ihm noch über die Lippen kamen, wußte er bereits, daß er in die Falle gelockt worden war.
»Schwöre es«, sagte Roh; und als er auch diese Worte sprechen wollte, fügte Roh hinzu: »Auf deinen Eid zu ihr.«
Bei deiner Seele;
das war der Eid, und die Augen aller Männer waren auf ihn gerichtet, wie die Augen von Wölfen in einem Rudel. Seine Lippen formten die Worte, während er gleichzeitig wußte,
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