Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan
in jenen Büchern. Die Karten gelten nicht mehr. Das Land ist untergegangen. Hier gibt es nichts zu finden.«
»Dann hoffe«, sagte Vanye, »daß das wirklich zutrifft.«
»Du bist ein Mensch«, stellte Bydarra verächtlich fest.
»Ja.«
»Jene Bücher«, sagte Bydarra, »enthalten nichts. Die Alten waren Fleisch und Blut, und wenn die Menschen sie anbeten wollten, ist das ihre Sache. Die Priester...« Der alte Lord zuckte verächtlich die Achseln und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Mauer und meinte den Hof vor dem Hauptgebäude. »Parasiten. Die niedrigsten unseres Halblingsblutes. Sie verbreiten eine Lüge, sie murmeln Unsinn vor sich hin, wiegen sich in dem Glauben, daß sie einmal die Brunnen beherrscht haben, daß sie einen besonderen Dienst verrichten, indem sie sich darum kümmern. Selbst die ältesten Unterlagen reichen nicht in die Zeit der Brunnen zurück. Die Bücher sind wertlos. Die Hiua-Könige waren eine Plage, die die Brunnen verfallen ließen, und sie spielten mit den Kräften der Quellen, sie schleuderten Opfergaben hinein, doch sie hatten nicht mehr Macht als die Shiua-Priester. Sie hatten zu keiner Zeit Macht über die Brunnen. Sie wurden lediglich hergebracht. Dann begann das Meer Hiuaj zu verschlingen.
Und zuletzt — kommt Roh, kommst du. Du behauptest, du wärst durch die Brunnen gekommen. Stimmt das?«
»Ja«, antwortete Vanye mit schwacher Stimme. Die Dinge, die Bydarra gesagt hatte, ergaben plötzlich einen Sinn, der ihm zu weit ging. Einmal hatte ein Mann Morgaine ausgefragt, das war in Andur gewesen; die Worte hatten in einem Winkel seines Verstandes lange nachgewirkt, und hatten eine vernünftige Erklärung erwartet:
Die Welten gingen weite Wege,
hatte sie dem Manne geantwortet,
den Biegungen des Weges folgend. Ich ging feldein.
Und plötzlich begann er die Sorge des
qujal-
Lords zu verstehen, das Gefühl, daß in ihm und in Roh Dinge zusammentrafen, die eigentlich gar nicht zusammen sein durften — daß es irgendwo in Ohtij-in ein Myya-Mädchen gab, weit, weit entfernt von den Bergen von Erd und Morija.
»Und die Frau?« fragte Bydarra. »Die Frau auf dem grauen Pferd?«
Vanye schwieg.
»Roh hat von ihr gesprochen«, fuhr Bydarra fort. »Du ebenfalls; das Hiua-Mädchen bestätigt uns das. Gerüchte verbreiten sich im Hof: Gerede, achtloses Gerede vor den Dienstboten. Roh macht unheilvolle Andeutungen über ihre Absichten; das Hiua-Mädchen verteufelt sie mit Hiua-Legenden.«
Vanye zuckte die Achseln, um seine Besorgnis nicht deutlich werden zu lassen; das Herz klopfte heftig gegen seine Rippen. »Die Hiua hat sich aus eigenem Willen an meine Fersen geheftet; ich glaube, ihre Sippe hat sie verstoßen. Sie redet manchmal wirres Zeug. Vielleicht ist sie verrückt. Ich würde ihren Worten keine zu große Bedeutung beimessen.«
»Angharan«, sagte Bydarra. »Morgen-Angharan. Die siebente und übelwollende Macht: Hiua-Könige und Ären-Aberglaube haben stets miteinander zu tun. Die weiße Königin. Aber wenn du kein Hiua bist, ist dir das natürlich nicht bekannt.«
Vanye schüttelte den Kopf, ballte hinter seinem Rücken die Faust. »Das alles ist mir nicht bekannt«, sagte er.
»Wie lautet ihr richtiger Name?«
Wieder zuckte er die Achseln.
»Roh«, sagte Bydarra, »nennt sie eine Gefahr für alles, was lebt — er behauptet, sie sei gekommen, um die Brunnen zu vernichten und das Land ins Verderben zu stürzen. Er bietet sich an, uns zu retten — wie immer seine Befähigung dazu aussehen mag. Es gibt Leute«, fügte Bydarra hinzu, mit einem Blick, der Hatharu mürrisch die Augen niederschlagen ließ, »die bereit sind, ihm zu Füßen niederzusinken. Nicht alle bei uns sind dermaßen leichtgläubig.«
Es trat ein Schweigen ein, und Vanye vermied es, Hetharu anzusehen, und mied auch Bydarras Blick, der seinen Sohn absichtlich herausforderte.
»Vielleicht«, fuhr Bydarra leise fort, »gibt es eine solche Frau gar nicht, und du und das Hiua-Mädchen habt euch mit Roh verbündet. Oder ihr verfolgt Ziele, von denen wir in Ohtij-in noch nichts wissen. Die Menschen haben uns aus Hiuaj vertrieben. Die Hiua-Könige machten sich keine Gedanken über unser Wohlergehen, und sie besaßen niemals die Macht, die Roh für sich in Anspruch nimmt.«
Vanye starrte ihn an, er überlegte, er wog verzweifelt das Für und Wider ab. »Sie heißt Morgaine«, sagte er schließlich. »Und ihr wärt besser beraten, ihr anstelle von Roh Gastfreundschaft zu gewähren.«
»Ah«, sagte Bydarra.
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