Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan
»Und was würde sie uns bieten?«
»Eine Warnung«, antwortete Vanye gepreßt in der Erkenntnis, daß seine Antwort nicht auf Wohlwollen stoßen würde. »Und ich' gebe euch eine: schickt ihn und mich fort, habt nichts mit uns zu tun. Darin läge eure Sicherheit. Mehr Sicherheit gibt es für euch nicht.«
Der Spott wich aus Bydarras faltigem Gesicht. Er trat näher, die hageren Gesichtszüge nun denkbar ernst, die blassen Augen starr auf ihn gerichtet: groß waren die Halblinge, so daß Vanye dem alten Lord Auge in Auge gegenüberstand. Dünne Finger berührten ihn leicht an der Seite des Arms, Vertraulichkeit heischend, während Vanye die ganze Zeit über Hetharu im Hintergund am Tisch lehnen sah, die Arme verschränkt, ihn kalt musternd. »Der Hnoth kommt«, sagte Bydarra, »da steigt die Flut, und man kann nicht reisen. Chya Roh aber will noch heute nach Abarais abreiten, ehe die Straße ganz unpassierbar geworden ist. Er scheint ebenso wie du daran interessiert, daß du zu ihm geschickt wirst, wenn er am Ziel ist, sobald es möglich ist; was sagst du dazu, Nhi Vanye i Chya?«
»Daß du so verloren bist wie ich, wenn du zuläßt, daß er Abarais erreicht«, antwortete Vanye. Das Blut rauschte ihm in den Ohren, während er in das alte
qujalin-
Gesicht blickte und sich vorstellte, wie Roh das Haupttor beherrschte, das große Macht hatte, das die anderen Tore beleben, das großen Einfluß ausüben und Vernichtung bringen konnte. »Wenn du zuläßt, daß er es erreicht, werdet ihr bald einen Herrn zu spüren bekommen, von dem ihr euch niemals befreit, weder in dieser Generation, noch in der nächsten oder übernächsten. Ich weiß, daß das die Wahrheit ist.«
»Dann vermag er also die Dinge zu tun, die er für sich in Anspruch nimmt«, sagte Hetharu plötzlich.
Vanye blickte zu Hetharu, der den Tisch verließ und sich an die Seite seines Vaters stellte.
»Seine Macht wäre so groß«, antwortete Vanye, »daß ganz Shiuan und Hiuaj sich nach seinen Vorstellungen formen würden — nach
seinen
Vorstellungen, mein Lord. Du siehst nicht aus wie ein Mann, dem es gefiele, einen Herrn über sich zu haben.«
Bydarra setzte ein grimmiges Lächeln auf und sah Hetharu an. »Durchaus möglich«, sagte er, »daß du da eine gute Antwort bekommen hast.«
»Durch einen weiteren Mann, der etwas zu gewinnen hat«, sagte Hetharu und packte Vanyes Arm mit solch aufdringlicher Kraft, daß Zorn den anderen blendete: er riß den Arm zur Seite und hielt sich nur mit einem letzten Faden der Vernunft davon zurück, dem Prinzen an die Kehle zu fahren. Er atmete ungleichmäßig und blickte Bydarra an, der hier die Autorität verkörperte.
»Ich würde Roh nicht gern in Abarais sehen«, sagte Vanye. »Und wenn eigene Erfahrung erst erweist, daß ich recht hatte, mein Lord, ist es zu spät, eine andere Meinung zu vertreten.«
»Kannst du die Brunnen beherrschen?« fragte Bydarra. »Laßt mich in Abarais warten, bis meine Herrin kommt.
Dann fordert an Gegenleistung, was ihr wollt, es wird diesem Lande besser gehen.«
»Kannst du die Brunnen selbst bedienen?« fragte Hetharu und packte ihn ein zweitesmal am Arm.
Vanye betrachtete das gutaussehende Wolfsgesicht, die weißen Nasenflügel, die dunklen Augen, in denen die Gewalt glühte, das glatte weiße Haar, das nicht künstlich gebleicht war wie bei den weniger bedeutsamen Lords.
»Nimm die Hände von mir!« brachte er heraus und richtete sein Flehen weiter an Bydarra. »Mein Lord«, sagte er in zwingender Ruhe, »mein Lord, in diesem Zimmer wurde irgendein Handel abgeschlossen — dein Sohn und Roh und andere junge Lords. Du solltest dieser Sache nachgehen.«
Bydarras Gesicht erstarrte mit einem nicht zu deutenden Gefühl; er schob Hetharu zur Seite, bedachte Vanye mit einem schrecklichen Blick, den er dann auf seinen Sohn richtete; er wollte ein Wort sagen, das er aber nicht mehr herausbekam. Eine Klinge zuckte auf, und Bydarra gurgelte erstickt, drehte sich unter Hetharus zweitem Hieb zurück, helles Blut strömte ihm aus Mund und Hals. Bydarra stürzte vorwärts, und Vanye taumelte unter dem Gewicht des Sterbenden zurück und ließ ihn entsetzt fallen, während ihm das heiße Blut über die Arme strömte.
Er starrte über die Schneide der Waffe auf seinen Sohn, der den Vater ermorden konnte, ohne Reue zu zeigen. Angst stand auf diesem weißen Gesicht, Haß. Vanye begegnete Hetharus Blick und wußte, was ihm bevorstand.
»Nenn mich Lord«, sagte Hetharu leise, »Lord von
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