Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan
hatte er nun doch noch mehr Angst vor der Gewalt des Mobs.
Die Glocke am Tor lärmte noch immer, fügte dem Chaos ihre eigene gehetzte Stimme hinzu. Eine Tür im Wachturm öffnete sich, weitere Wächter standen bereit, sie in den schützenden Raum zu holen, eine gezackte Reihe von Waffen, die den Zugang verteidigten.
Ein Lanzenträger ging, von einem Stein getroffen, zu Boden. Der Mob drängte herbei. Vanye zuckte in den Händen seiner Wächter zusammen, als der Abschaum nach ihm griff, ihn diesmal beinahe zu fassen bekam. Es begann ein kurzer, blutiger Kampf, Bauern gegen Pikenträger in Rüstung, und die Wächter schritten über Verwundete und Sterbende weiter.
Der Wahnsinn der Szene überstieg Vanyes Verstehen, der Angriff, der Haß, ob nun gegen ihn oder die eigenen Lords gerichtet... in dem Bewußtsein, daß Bydarra tot war, daß der größte Teil der Streitmacht die Feste verlassen hatte. Die Zahl der Wächter kam ihm plötzlich beängstigend klein vor; die Macht, die Kithan hier ausübte, war wirklich auf Sand gebaut, inmitten der Gewalt, die außerhalb des Gebäudes im Hof aufbrandete. Den Menschen war gleichgültig, was sie angriffen. Sie haßten alles und jeden für ihr grausames Schicksal.
Ein tiefes, grollendes Geräusch war plötzlich zu hören, das die Mauern erbeben ließ. In der herbeidrängenden Menge wurden Entsetzensschreie laut, während die Wächter erstarrten.
Das Tor verschwand in einem zweiten Grollen der Mauern: der Bogen, der sich darüber gespannt hatte, brach zusammen, die einzelnen Steine wirbelten wie Blätter in die Dunkelheit davon, so daß kaum Schutt blieb. Das Tor war fort. Der Mob kreischte und lief entsetzt auseinander, improvisierte Waffen hinterlassend, ein Gewirr von Stangen und Steinen; und die Wächter richteten nutzlose Waffen auf den unglaublichen Anblick.
Wo sich das Tor befunden hatte, war in der Dunkelheit nun ein Schimmer zu sehen, und ein weißgekleideter Reiter auf grauem Pferd erschien dort, schimmerndes weißes Haar im Licht der restlichen Fackeln; und das andere Schimmern war ein gezogenes Schwert.
Die Klinge wurde nicht wieder fortgesteckt. An ihrer Spitze war eine besondere Dunkelheit gefangen, eine Dunkelheit, die das Licht der Fackeln dämpfte, wohin sie wies. Das graue Pferd machte einen Schritt vorwärts; die Menge schrie und floh.
Morgaine.
Sie war an diesen Ort gekommen, war ihm gefolgt. Vanye versuchte freizukommen und spürte den heftigen Drang zu lachen, und im gleichen Augenblick stießen ihn die Wächter zu Boden und flohen.
Er blieb reglos liegen, einen Augenblick lang durch den Aufprall auf dem nassen Pflaster betäubt. Er sah schlammige Hufe ganz in der Nähe seines Kopfes, als sie herbeiritt, um ihn zu decken, und er fürchtete das Pferd nicht; doch über ihm sah er Morgaines ausgestreckte Hand, und
Wechselbalg,
der blank gezogen war, schimmernde lodernde Flammen mit der tödlichen Leere an seiner Spitze wie ein Banner: ein Untergang, der unsauberer war als alles, was die
qujal
einzusetzen vermochten.
Er wollte sich nicht bewegen, während das Ding über ihm schwebte. »Roh ...«, versuchte er sie zu warnen, doch seine heisere Stimme ging im Sturm und in dem allgemeinen Geschrei unter.
»Dai-khal!«.
hörte er aus der Ferne rufen.
-»Angharan ... Angha-ran!«
Er hörte, wie der Schrei wiederholt wurde, wie er von den Mauern widerhallte, eine Warnung, die sich im Wind seltsam anhörte; danach die Stille, die sich über den Hof senkte, über
qujal
und Menschen gleichermaßen.
Siptah bewegte sich zur Seite; Vanye versuchte sich auf die Knie zu erheben, schaffte es auch mit einem beißenden Schmerz in der Flanke, der ihm einen Augenblick lang den Atem raubte. Als er wieder sehen konnte, erblickte er Kithan und die anderen Lords im unversperrten Tor des Hauptgebäudes, von den Wächtern verlassen. Die
qujal
sagten kein Wort, bewegten sich nicht. Ihre Gesichter, ihr weißes Haar, das vom Wind gepeitscht wurde, bildete im Fackelschein eine Gruppe von hellen Flecken.
»Dies ist mein Gefährte«, sagte Morgaine leise, und ihre Stimme erhob sich über das Rauschen des Regens; durchaus möglich, daß es im ganzen Hof keine Stelle gab, da man sie nicht verstehen konnte. »Ein armseliges Willkommen habt ihr ihm entboten!«
Einen Augenblick lang war nur das gleichmäßige Prasseln des Regens in den Pfützen zu hören, das unruhige Stampfen von Siptahs Hufen, dann klang Hufschlag auf, ein weiterer Reiter kam durch das vernichtete Tor: der schwarze
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