Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan
Anblick blieb Vanye stehen, und die plötzliche Wärme des Feuers traf ihn und erschwerte ihm das Atmen; er mußte sich am Türrahmen festhalten, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, während Morgaine in den Saal trat und sich umsah. »Holt die Toten aus der Feste«, sagte sie zu den zerlumpten Männern, die ihre Befehle erwarteten. »Beseitigt sie. Ist ihr Herr darunter?«
Der älteste Mann machte eine hilflose Handbewegung. »Wissen wir nicht«, sagte er in einem schwer verständlichen Dialekt.
»Liyo«,
bot sich Vanye von der Tür her an, »ein Mann namens Kithan führt das Kommando in Ohtij-in, Hetharus Bruder. Ich weiß, wie er aussieht.«
»Bleib du bei mir!« befahl sie knapp und wandte sich an die anderen: »Sucht nach ihm! Alles Geschriebene muß geschützt werden! Bringt es mir!«
»Aye«, sagte einer aus der Gruppe, den sie gerade anblickte. »Was ist mit den anderen?« fragte der älteste, ein gekrümmt gehender, zerbrechlich wirkender Mann. »Was ist mit den anderen, Lady?«
Morgaine runzelte die Stirn und sah sich um, eine kriegerische, böse wirkende Gestalt zwischen den in armseliges Leder und Lumpen gekleideten Fremden; sie betrachtete die Gefangenen, die Toten, dann die einfach gekleideten Leute, die sich in diesem Durcheinander auf ihre Befehle verließen, und zuckte die Achseln. »Was schert es mich?« sagte sie. »Was ihr hier tut, ist eure Sache, soweit ihr mich nicht stört. Ein Wächter vor unserer Tür, Diener für unsere Bedürfnisse...« Ihr Blick richtete sich auf die Ecke, in der die Dienstboten knieten, gezeichnete Männer in brauner Livree, die den
qujal
gedient hatten. »Die drei genügen. Und Haz, gib mir drei deiner Söhne zur Bewachung meines Quartiers, dann sollen das für heute meine einzigen Wünsche sein.«
»Gewiß«, sagte der alte Mann und verneigte sich in ungeschickter Nachahmung einer höfischen Geste; er deutete auf einige junge Männer, die sich Morgaine mit gesenktem Blick näherten; sie alle waren sehr klein gewachsen, der größte reichte ihr eben bis zur Schulter, doch breitschultrig und kraftvoll.
Vanye hielt sie für Sumpfbewohner: Männer aus Aren. Sie verständigten sich in einer Sprache, die er nicht verstand; es waren Menschen, doch von einer Art, wie sie in seinem Land unbekannt waren, klein und verschlagen und vermutlich auch ohne Gesetze, wie sie in seinen Welten üblich waren. Ihre Zahl war groß, sie schwärmten durch die Korridore und zerstörten, was sie konnten; sie hatten Morgaine absichtlich nicht auf seinen Aufenthaltsort aufmerksam gemacht — und doch war sie zu ihnen zurückgekehrt, als vertraue sie ihnen völlig. Plötzlich wurde ihm bewußt, daß er keine Waffen trug und daß ihr Leben in den Händen dieser kleinen, verstohlenen Männer lag, die sich untereinander verständigen konnten, ohne daß er etwas mitbekam.
Ein Körper streifte ihn, größer als die anderen, in schwarzer Robe; Vanye fuhr überrascht zurück und erkannte dann den Priester, der auf Morgaine zuging. Voller Panik stürzte er vor, zerrte an der Robe, schleuderte den Priester zu Boden.
Morgaine blickte auf den Mann mit dem schütteren weißen Haar hinab, dessen schmales Gesicht vor Entsetzen starr war, der in Vanyes Griff bebte. Als Morgaine näher kam, versuchte sich der Priester in plötzlicher Panik aufzurichten — vielleicht um zu fliehen —, doch Vanye hielt ihn fest.
»Verbanne ihn auf den Hof hinaus!« sagte Vanye und dachte daran, daß eben dieser Priester ihn nach Ohtij-in hineingelockt hatte mit dem Versprechen der Sicherheit, daß dieser Priester an Bydarras Ellbogen verweilt hatte. »Soll er doch sein Glück dort unten versuchen, unter Menschen.«
»Wie heißt du?« wandte sich Morgaine an den Priester. »Ginun«, erwiderte der schmächtige Halbling. Er drehte sich um und schaute zu Vanye auf, ein dunkeläugiger, alternder Mann — und vielleicht mehr Mensch als
qujal.
Die Angst ließ seine Lippen beben. »Großer Lord, viele hätten dir helfen wollen, viele, viele — auch ich. Unsere Lords haben sich geirrt.«
»Wo warst du?« fragte Vanye, und die Bitterkeit saß ihm so dick im Hals, daß er kaum sprechen konnte; er stieß den Mann zurück. »Du kennst deinen Lord, du wußtest, was geschehen würde, als du mich zu ihm führtest.«
»Nimm uns mit!« flehte Ginun weinend. »Nimm uns mit! Laß uns nicht zurück!«
»Wohin gehen wir denn von hier aus, deiner Meinung«, sagte Morgaine mit kalter Stimme.
»Durch die Brunnen — in jenes andere
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