Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan
mit. Warum? Warum eine so große Truppe?«
»Das weiß ich nicht.«
»Diese Zeit muß schrecklich für dich gewesen sein.«
»Ja«, sagte er endlich, hinterließ sie doch eine Stille, die gefüllt werden wollte.
»Ich habe Jhirun Elas-Tochter nicht gefunden. Doch während ich nach ihr suchte, Vanye, erfuhr ich von einer seltsamen Sache.«
Vanye meinte, seine Gesichtsfarbe müßte sich längst verflüchtigt haben. Er trank einen Schluck, um die Enge in seiner Kehle zu überwinden. »Ja?« fragte er.
»Es heißt«, fuhr sie fort, »daß Jhirun wie du unter Rohs persönlichem Schutz stand. Daß seine Befehle euch beide ein einigermaßen bequemes und sicheres Leben bescherten, bis Bydarra ermordet wurde.«
Wieder stellte er den Becher hin und sah sie an, wobei er daran dachte, daß jeder noch so kleine Verdacht für sie schon ein Grund zum Töten sein konnte. Aber sie saß hier mit ihm beim Frühstück, teilte Nahrung und Getränk mit ihm, während sie alle diese Sachen vielleicht schon seit gestern abend wußte, ehe sie sich zum Schlafen neben ihn legte.
»Wenn du meintest, du könntest mir nicht trauen«, sagte er, »würdest du mich sofort beseitigen. Du hättest nicht gewartet.«
»Werdet Ihr nun antworten, Vanye? Oder wollt Ihr mir weiter ausweichen? Ihr habt bei Eurem Bericht so manches ausgelassen. Auf Euren Eid — auf Euren Eid, Nhi Vanye, damit ist jetzt Schluß!«
»Er — Roh — wurde hier willkommen geheißen, zumindest bei einer Interessengruppe im Haus. Er sorgte dafür, daß mir nichts geschah, das ist richtig; aber es ging mir andererseits nicht so gut, wie du denkst,
liyo.
Und später — als Hetharu an die Macht kam, auch dann — schritt Roh ein.«
»Kennst du den Grund?«
Er schüttelte den Kopf und schwieg. Seine Mutmaßungen führten in viele Richtungen, die er mit ihr nicht weiter erkunden wollte.
»Hast du unmittelbar mit ihm gesprochen?«
»Ja.« Ein langes Schweigen trat ein. Er kam sich noch immer fehl am Platze vor, auch jetzt noch, da er in einem Stuhl saß und sie Auge in Auge anblickte, eine Situation, wie sie zwischen ihnen nicht der Realität entsprach und nie entsprochen hatte.
»Dann habt Ihr also eine Vorstellung?«
»Er sagte — er täte es, weil wir verwandt wären.«
Sie schwieg.
»Er sagte«, fuhr Vanye mühsam fort, »daß er mich wohl für seinen Dienst in Anspruch nehmen wollte, wenn dir — wenn du verloren gewesen wärst...«
»Hast du ihm das vorgeschlagen?« fragte sie; und vielleicht zeigte sich das Entsetzen auf seinem Gesicht, denn sie zeigte sofort einen mitleidigen Ausdruck. »Nein«, urteilte sie. »Nein, das würdet Ihr nicht tun.« Und einen Augenblick lang sah sie ihn mit furchteinflößender Intensität an, als wappne sie sich für etwas, dessen sie sich lange enthalten hatte. »Ihr seid ahnungslos«, sagte sie, »und ihm in dieser Unwissenheit sehr wertvoll.«
»Ich würde ihn nicht gegen dich unterstützen.«
»Du hast keine Verteidigungsmöglichkeit. Du bist ahnungslos und kannst dich nicht wehren.«
Der Zorn trieb ihm die Hitze ins Gesicht. »Zweifellos richtig«, sagte er.
»Ich könnte diesen Umstand aus der Welt räumen.«
Werde, was ich bin, akzeptiere das, dem ich diene, trage, was ich zu tragen habe. . .
Die Hitze wich von ihm und hinterließ ein Frösteln. »Nein«, sagte er. »Nein.«
»Vanye — um deinetwillen mußt du mich anhören.« Hoffnung stand in ihrem Blick, eine starke Hoffnung: nie zuvor hatte sie ihn um etwas angefleht. Er war mit ihr gereist: vielleicht hatte sie schon damals auf diese Zusage gehofft, die sie ihm nie abgerungen hatte. Ihm fiel etwas ein, das er eine Zeitlang vergessen hatte, der Unterschied zwischen Morgaine und dem, was Chya Roh trieb: daß Morgaine, die das Recht hatte zu befehlen, stets davon abgesehen hatte.
Es war ihr sehnlichster Wunsch, dessen Erfüllung ihr ein gewisses Maß an innerem Frieden gebracht hätte; trotzdem hielt sie sich zurück.
»Liyo«,
flüsterte er. »Ich würde alles tun, alles, was du mir aufträgst. Befiehl mir etwas, das ich tun kann.«
»Nur dies nicht«, sagte sie in einem Ton, der ihm ans Herz griff.
»Liyo —
alles andere.«
Sie senkte den Blick, es war wie ein Vorhang, der sich endgültig zwischen ihnen schloß; dann sah sie ihn wieder an. In ihren Augen stand keine Bitterkeit, nur ein tiefer Kummer.
»Sei ehrlich«, sagte er gekränkt. »Du bist in der Flut beinahe umgekommen. Du bist dem Tod nur knapp entronnen, und das, was du erreichen wolltest, ist
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