Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan
noch immer ungetan; das macht dir jetzt zu schaffen. Du willst dies nicht um meinetwillen. Sondern zu deinem Vorteil.«
Wieder senkte sie den Blick und sah ihn dann an. »Ja«, gab sie ohne Scham zu. »Aber du solltest auch wissen, Vanye, daß meine Feinde dich nie in Frieden lassen werden. Davor kann Ahnungslosigkeit dich nicht bewahren. Solange du für sie erreichbar bist, wirst du niemals Sicherheit finden.«
»Du hast es mir einmal gesagt: die eine Gnade, die du mir gewährst, mich nämlich nie mit deinen
qujalin
-Künsten zu belasten; und dafür, für diese Gnade, gab ich dir mehr, als mein Eid von mir verlangte. Willst du nun alles haben? Du kannst es mir befehlen. Ich bin ein
ilin.
Befiehl es mir, und ich tue, was du sagst.«
In den Abgründen ihrer Augen tobte ein Zwiespalt, ja und nein standen im riskanten Gleichgewicht. »O Vanye«, sagte sie leise, »Ihr bittet mich um Tugendhaftigkeit, an der es mir fehlt, wie Ihr sehr wohl wißt.«
»Dann gebt den Befehl«, forderte er sie auf.
Sie furchte düster die Stirn und blickte ins Leere.
»Ich habe Abarais zu erreichen versucht«, sagte er in das lange Schweigen, »um dort auf dich zu warten. Und wenn ich Roh hätte benutzen können, um dorthin zu gelangen, wäre ich mit ihm gegangen — um ihn dann aufzuhalten.«
»Womit denn?« fragte sie spöttisch lachend, aber dabei wandte sie sich wieder in seine Richtung, und noch immer flehten ihre Augen ihn an. »Wenn ich tot gewesen wäre, was hättest du machen können?«
Er zuckte die Achseln und versuchte das Schrecklichste zu finden, das er sich vorstellen konnte:
»Wechselbalg durch
ein Tor zu werfen: das würde doch genügen, oder?«
»Wenn du ihn in die Hände bekommen hättest. Und diese Tat hätte dich vernichtet — und nur ein Tor zerstört.« Sie hob
Wechselbalg
von ihrer Seite und legte die Waffe über die Armlehnen. »Diese Klinge ist für andere Dinge gemacht.«
»Hör auf!« sagte er, denn sie zog die Klinge stückweise aus der Scheide. Er rückte zurück, denn er traute zwar ihrem Verstand, nicht aber der Hexenklinge, und es war nicht ihre Gewohnheit, die Waffe blankzuziehen, wenn sie nicht unbedingt mußte. Morgaine hielt inne; das Gebilde lag halb schimmernd vor ihm, kein Metall, eher ein Kristall, die Zauberkraft gebannt, solange die Scheide nicht völlig abgezogen war.
So hielt sie
Wechselbalg,
die Breitseite der Klinge in seine Richtung geneigt, opalisierendes Feuer wirbelte sanft in den
qujalin-
Runen auf der Oberfläche. »Wer dieses lesen kann«, sagte sie, »der findet hier die Erschaffung und Vernichtung der Tore. Und ich glaube, Ihr beginnt zu ahnen, was das wert ist und was wir zu fürchten hätten, sollte Roh die Klinge in seinen Besitz bringen. Diese Waffe in seinen Einflußbereich zu tragen wäre das Gefährlichste, was du tun könntest.«
»Steck sie fort«, bat er sie.
»Vanye — die Runen zu lesen, würdet Ihr wenigstens das lernen? Nur das — daß Ihr die
qujalin
-Sprache lesen und sprechen könnt. Ist das zuviel verlangt?«
»Bittest du mich das für dich selbst?«
»Ja«, sagte sie.
Er wandte den Blick von der Klinge ab und nickte.
»Es ist unbedingt erforderlich«, sagte sie. »Vanye, ich zeige es dir, und sollte ich einmal umkommen, nimmst du
Wechselbalg an
dich. Mit diesem Wissen, das du dann besitzt, wird dich das Schwert alles weitere lehren — bis du keine andere Wahl mehr hast, so wie auch ich keine Wahl mehr habe.« Und nach kurzem Schweigen:
»Sollte
ich umkommen. Es liegt nicht in meiner Absicht, daß so etwas geschieht.«
»Ich werde es tun«, antwortete er und spürte einen kalten Klumpen in sich, eine Art Stein an der Stelle, an der sich sein Herz befunden hatte. Es war das Ende der Entwicklung, die mit seinem Eid begonnen hatte: ihm ging auf, daß er es von Anfang an gewußt hatte.
Sie stieß das Drachenschwert wieder in die Scheide und legte es sich in die Armbeuge. Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf den Kamin, vor dem eine in einen Mantel geschlagene Rüstung lag. »Sie gehört dir«, sagte sie. »Einige Diener haben die ganze Nacht daran gearbeitet. Zieh dich an. Ich traue diesem Ort nicht. Die andere Sache regeln wir später.
Wir reden noch darüber.«
»Ja«, sagte er und war froh über die von ihr gesetzte Reihenfolge der Dinge; denn so wie sie jetzt war, mochte sie noch mehr aus ihm herausholen, Stück für Stück: vielleicht wußte sie das.
In ihren Bewegungen lag ein Schwung, wie er ihn seit vielen Tagen nicht mehr bemerkt hatte;
Weitere Kostenlose Bücher