Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan
hatte Schmerzen; seine zerstochenen Handgelenke ließen sich nach der Nachtruhe kaum noch bewegen, und seine Füße — er verzog das Gesicht beim Anblick der wunden Stellen. Er humpelte ins Schlafzimmer zurück und suchte sich in einem Schrank ein frisches Hemd, dann fand er das Paar Stiefel, das er sich am Abend vorher zurechtgestellt hatte. Er setzte sich im Schatten auf die Bettkante, zwängte die übermäßig schmalen Stiefel über seine schmerzenden Füße und lauschte auf die Unterhaltung zwischen Morgaine und den Männern im Nebenzimmer. Er verstand nichts; dazu war die Entfernung zu groß und der gesprochene Akzent zu schwierig. Es kam ihm auch nicht passend vor, ins andere Zimmer hinüberzugehen und sich in Morgaines Angelegenheiten einzumischen. Er wartete, bis er hörte, daß sie die Männer fortschickte, bis die Diener das Frühstück fertig aufgetragen hatten und sich zurückzogen. Erst dann stand er auf und wagte sich hinaus, um zu sehen, wie die Dinge im kalten Tageslicht zwischen ihnen standen.
»Setz dich«, bot sie ihm an und winkte ihn an den Tisch; und mit gesenktem Blick und einem Achselzucken fügte sie hinzu: »Wir haben Mittag, es regnet noch immer von Zeit zu Zeit, und die Kundschafter berichten, daß an der Furt die Flut noch immer nicht zurückgegangen ist. Sie machten mir Hoffnung, daß sich die Dinge heute abend oder vielleicht morgen bessern. Dies haben sie von den Shiua selbst gehört.«
Vanye setzte sich auf den Stuhl, den sie ihm anbot, doch als er ihn zurückzog, um sich zu setzen, sah er den Fleck auf dem Teppich und hielt inne. Sie blickte ihn an. Er schob den Stuhl wieder vor und ging, ohne den Blick zu senken, um den Tisch herum, wo er den gegenüberliegenden Platz einnahm, bemüht, die Erinnerungen an die letzte Nacht zu verdrängen. Leise zog er seinen Teller über den schmalen Tisch.
Sie saß bereits. Er bediente sich nach ihr, löffelte Nahrung auf Goldteller und kostete von dem unbekannten heißen Getränk, das seinem schmerzenden Hals Linderung verschaffte. Er aß wortlos und fand es absolut unvorstellbar, auf diese Weise mit Morgaine das Frühstück zu teilen, noch absonderlicher, als mit ihr in einem Bett zu schlafen. Er empfand es als unpassend, mit ihr am Tisch zu sitzen; so etwas gehörte in ein anderes Leben, in dem er der Sohn eines Lord war und sich in den Gebräuchen in den Schlössern auskannte und nicht mit der Asche von Kaminen oder den Lagerfeuern eines Geächteten.
Morgaine wahrte ebenfalls Schweigen. Sie neigte ohnehin nicht zur Gesprächigkeit, doch ihr Aufenthalt hier in Ohtij-in war einfach zu seltsam, als daß er ihre Ruhe als angenehm empfinden konnte.
»Man scheint dich nicht besonders gut versorgt zu haben«, bemerkte sie, als er einen dritten Teller geleert hatte, während sie kaum mit dem ersten fertig war.
»Nein«, antwortete er.
»Du hast tiefer geschlafen, als ich es bei dir bisher gesehen habe.«
»Du hättest mich wecken können, als du erwachtest.«
»Du schienst die Ruhe brauchen zu können.«
Er zuckte die Achseln. »Dafür bin ich dir dankbar.«
»Soviel ich weiß, war dein Aufenthalt hier nicht gerade gemütlich.«
»Nein«, sagte er, ergriff seinen Becher und schob den Teller fort. Ihre seltsame Stimmung behagte ihm nicht, es mißfiel ihm, daß sie mit solcher Beharrlichkeit über ihn sprach.
»Wie ich höre, hast du zwei Männer umgebracht«, fuhr Morgaine fort. »Und der eine ist der Lord von Ohtij-in.«
Verblüfft setzte er das Gefäß hin, ließ die Finger darum liegen und drehte es hin und her, die braune Flüssigkeit in Wallung bringend, während sein Herz heftig klopfte, als wäre er eine weite Strecke gerannt. »Nein«, sagte er. »Das stimmt nicht. Einen Mann habe ich umgebracht, jawohl. Aber Lord Bydarra, den hat Hetharu ermordet: sein eigener Sohn. Er ermordete ihn, während ich mit ihm allein war, und ich wäre für dieses Verbrechen gestern nacht gehängt worden, mindestens das. Der andere Sohn Kithan — er kennt die Wahrheit oder nicht, ich weiß es nicht: Aber die Sache war sehr raffiniert eingefädelt,
liyo.
Außer Hetharu und mir weiß niemand genau, was sich in diesem Raum ereignete.«
Sie schob den Stuhl zurück und drehte sich herum, bis sie ihn über die Tischdecke hinweg anblickte, dann lehnte sie sich zurück und musterte Vanye mit einer stirnrunzelnden Berechnung, die sein Unbehagen noch steigerte. »Dann«, sagte sie, »ritt Hetharu in Rohs Gesellschaft ab und nahm die Hauptstreitmacht Ohtij-ins
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