Morgaine 3 - Die Feuer von Azeroth
erwartungsvoll an der Treppe und folgte der Gruppe, die über den Marktplatz auf die größer werdende Ansammlung von Dorfbewohnern zueilte. Weinen war zu hören – und als Morgaine am Ziel ankam, machte man ihr Platz – nur zwei blieben stehen, die Dorfältesten Melzein und Melzeis, die sich Mühe gaben, die Tränen zurückzuhalten; und eine junge Frau und ein Paar in mittleren Jahren, die am Boden knieten und einen Toten in den Armen hielten. Hin und her wiegten sie sich, wimmernd und kopfschüttelnd.
»Eth«, murmelte Morgaine und blickte auf den jungen Mann hinab, der zu den klügsten und besten im Dorf gehört hatte: kaum zwanzig Jahre alt, Eth aus dem Melzen-Klan, doch ein erfahrener Jäger und Bogenschütze, ein glücklicher Mann, Viehhirte von Beruf, der viel gelacht und seine junge Frau geliebt hatte und der keine Feinde kannte. Man hatte ihm die Kehle durchgeschnitten, und an seinem halbnackten Körper klafften weitere Wunden, die für sich gesehen nicht tödlich waren, die ihm aber große Schmerzen bereitet haben mußten, ehe er durch den Kehlschnitt erlöst wurde.
Sie haben ihm diesen Tod gegeben,
dachte Vanye angstvoll.
Er muß ihnen gesagt haben, was sie wissen wollten.
Er erschrak bei der Erkenntnis, was für ein Mensch er geworden war, daß er im ersten Augenblick an solche Dinge dachte. Er hatte Eth gekannt. Er spürte, daß er zitterte und sich am liebsten übergeben hätte, als hätte er so etwas noch nie geschaut.
Einige Kinder übergaben sich tatsächlich und klammerten sich weinend an ihre Eltern. Er stellte fest, daß Sin sich an ihn drückte, und legte dem Jungen die Hand auf die Schulter, führte ihn zu seinen Klanältesten und übergab ihn ihrer Fürsorge. Bytheis nahm Sin in die Arme, und Sins Gesicht blieb reglos und verlor den Ausdruck der Bestürzung nicht.
»Sollten die Kinder das sehen?« fragte Morgaine und riß die Umstehenden aus ihrer Betäubung. »Ihr seid in Gefahr. Schickt bewaffnete Männer auf die Straße und im Kreis um das Dorf. Sie sollen Ausschau halten. Wo ist er gefunden worden? Wer hat ihn ins Dorf gebracht?«
Einer der Jünglinge trat vor – Tal, dessen Kleidung und Hände blutüberströmt waren. »Ich, Lady. Drüben an der Furt.« Tränen liefen ihm über das Gesicht. »Wer hat das getan? Lady –
warum?
«
Der Rat trat im Versammlungshaus zusammen, während die Angehörigen der Melzen die Leiche ihres Sohnes für das Begräbnis vorbereiteten. Eine unerträglich düstere Stimmung lag in der Luft. Bythein und Bytheis weinten leise; der Sersen-Klan jedoch war aufgebracht in seinem Kummer, und die Anführer nahmen den Mut zusammen, sich zu äußern. Das Schweigen dehnte sich, und schließlich erhob sich der alte Mann und ging vor der Feuerstelle hin und her.
»Wir verstehen das nicht!« rief er schließlich, und seine faltigen Hände zitterten. »Lady, willst du mir nicht antworten? Du bist nicht unsere Lady, doch wir haben dich willkommen geheißen, als wärst du es, dich und deinen
khemeis.
Es gibt im Dorf nichts, das wir dir vorenthalten würden. Jetzt aber forderst du ein Leben aus unserer Mitte und willst uns keine Erklärung geben?«
»Serseis«, wandte Bytheis ein, und legte Serseis eine Hand auf den Arm. Seine alte Stimme zitterte.
»Nein, ich höre«, sagte Morgaine.
»Lady«, fuhr Serseis fort. »Eth ist deinem Gebot gefolgt, als er das Dorf verließ: das sagen alle jungen Leute. Und du hast ihm befohlen, seinen Ältesten nichts zu sagen, und er hat dir gehorcht.
Wohin
hast du ihn geschickt? Er war kein
khemeis;
er war das einzige Kind seiner Eltern und ist dieser Berufung nicht gefolgt. Aber hast du nicht gespürt, daß der Wunsch danach in ihm schlummerte? Sein Stolz verführte ihn dazu, für dich Risiken auf sich zu nehmen. Welchem Schicksal hast du ihn ausgeliefert? Dürfen wir das nicht erfahren? Und wer hat so etwas Schreckliches getan?«
»Fremde«, antwortete sie. Vanye konnte nicht alle Worte verstehen, aber er verstand das meiste und vermochte sich den Rest zurechtzulegen. Angesichts der Emotionen, die sich jetzt im Saal zusammenballten, blieb er dicht bei Morgaine.
Soll ich die Pferde holen?
hatte er sie in seiner Muttersprache vor Beginn der Zusammenkunft gefragt.
Nein,
hatte sie erwidert, doch dermaßen zerstreut, daß er erkannte, sie war hin und her gerissen – zwischen ihrem Drang, die Reise fortzusetzen, und ihren Schuldgefühlen wegen der Gefahr, die Mirrind drohte. Sie zögerte und wußte es doch besser; und er wußte es
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