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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Douaihy
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Hände begonnen hatten. Die Frauen bewegten es nach rechts, nach links, in alle Richtungen, der Fladen wurde runder und runder, dünner und dünner, bis er schließlich aussah wie der Mond. Nachdem sie einen letzten Blick darauf geworfen hatten, überließen sie ihn Samîh. Die Frauen verfolgten ihn, wohin immer er auch ging. Einmal fuhr Samîh in die Stadt hinunter und betrat eine Backstube. Aus reiner Neugier. Dort wurde das Brot von Männerhänden gemacht. Von einer Frau keine Spur. Neid stieg in ihm hoch.
    Schon vor der Zeit neben der Ofenklappe hatte Samîh Umgang mit Frauen gehabt. Sein Vater hatte versucht, ihn von der Backstube und besonders von der Hitze fernzuhalten. Als er den Jungen einige Tage mit in die Backstube gebracht und neben sich an den Ofen gestellt hatte, wurde er schon bald von Mitleid gepackt. Er machte ihm daraufhin den Vorschlag, doch besser seinen Onkel zu begleiten. Also packte sich Samîh die Gerätschaften des Onkels unter den Arm, und gemeinsam zogen sie von Haus zu Haus. Der Onkel war ein Matratzen-Polsterer, der, im Gegensatz zum Bäcker, bei seinen Kunden zu Hause arbeitete. Die jeweilige Kundin warf ihm die Matratze vor den Hauseingang oder in einen Hof, wo er sich in Ruhe daran zu schaffen machen konnte. Wenn die Männer jedoch fort oder auf der Arbeit waren, dann werkelten sie im Haus. Samîh öffnete die Matratze oder die Steppdecke, und sein Onkel begann auf die verklumpte Baumwolle einzuschlagen. Dann lockerte er sie auf, bevor Samîh sie wieder in die Matratze oder Decke stopfte und diese zunähte. Eine einfache, angenehme Arbeit, die nur eine Eisenstange sowie Nadel und Faden erforderte … und den Umgang mit Frauen.
    Doch Samîh kehrte zur Backstube zurück. Nach dem Tod seines Vaters nahm er das »Brotkissen« wieder auf. Drei Tage nur hatte er den Laden geschlossen, um den Vater mit lauten Schluchzern zu beklagen, nachdem er dessen Sarg getragen hatte, er allein vorneweg und vier Männer dahinter. Er übergab seinem Onkel das Polstererwerkzeug und verabschiedete sich mit den Worten, er sei der einzige Sohn seines Vaters und wolle die Backstube nicht schließen. Sein Onkel schaute ihn mit mitfühlendem Blick an und sagte nur:
    – Pass auf deine Augen auf, mein Junge!
    Sein Leben war von da an die Backstube, und er schien es zufrieden. Sieben Tage die Woche, und sonntags ein unvergleichlicher Andrang. Kibbeh, aus zerriebenen Weizenkörnern und Fleisch. Hunderte Kibbeh-Pfannen mussten gebacken werden, ein einträglicher, aber langer Tag, der frühestens um zwei Uhr nachmittags zu Ende ging. Erst dann begann Samîh seine Zeit ganz nach eigenem Belieben zu gestalten. Er nahm sein wöchentliches Bad, kämmte sich die Haare und ging frisch gekleidet hinaus auf die Hauptstraße. Dort steuerte er auf den öffentlichen Brunnen zu, etwa zweihundert Meter von seinem Haus und der Backstube entfernt. Hocherhobenen Hauptes schritt er durch die Straßen. Ein neuer Samîh, der die Passanten ansah, als ob er ihre Blicke auf sich ziehen wollte. An diesem Tag war er ein Spaziergänger wie andere auch; er war ohne einen Anlass aus dem Haus gegangen, einfach nur, um es den Spaziergängern gleichzutun. Manchmal kam es vor, dass Nachbarn oder Passanten sahen, dass er, wie unter der Woche, den Laden anpeilte, wo er Eier oder Milch zu kaufen pflegte, ganz in der Nähe der Quelle. Aber unter der Woche trug er seine Arbeitskleidung, hastete dorthin, blickte stur geradeaus, hatte nur im Sinn, anzukommen und mit dem Gekauften wieder zurückzukehren. Eine kurze und eilige Besorgung, Teil seiner Arbeit in der Backstube, nicht mehr und nicht weniger.
    Wie sollte er ein sonntägliches Gefühl haben, wenn er nicht sein sauberes Hemd anzog und gemächlich bis in die Nähe der Wasserquelle schlenderte, wo er sich für gewöhnlich alleine hinstellte. Um Freunde zu gewinnen, fehlte Samîh die Zeit. Aufrecht, mitten auf dem Bürgersteig, stand er da, lehnte sich weder gegen die Mauer noch gegen den Baum, versuchte eine freie Fläche für sich zu beanspruchen, für sich ganz allein. Wenn die Frauen an ihm vorübergingen, lächelten sie. Das war doch Samîh im Sonntagsstaat! Sie lächelten, einfach nur, weil sie ihn außerhalb seiner Backstube sahen. Als würde er zu nichts anderem taugen, als am Ofen zu stehen und Brot zu backen. Mit zunehmendem Interesse verfolgte er alles und jeden, der auf der Straße vorbeikam, gleichsam als sei das Flanieren und Passieren als solches bereits ein Ereignis. Die

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