Morgen des Zorns
Râmi-Familie gehörten, und dies nicht nur im weitesten Sinne. Im Gegenteil, es hieß sogar, sie stammten direkt von den Râmis ab.
Samîh hütete sich davor, die Ohren aufzusperren, besonders aber vermied er es zu sprechen, und wenn er doch einmal ein Wort herausbrachte, dann sagte er etwas über das Brot oder den Teig, oder er zählte die Brotfladen, die ihm als Anteil für seine Arbeit zustanden, Fladen, die er aus dem Teig der Frauen buk, um sie zu verkaufen. Samîh zählte dann mit lauter Stimme, gleichsam als hätte die Zahl nur Gültigkeit, wenn er sie laut vernehmlich aussprach. Vielleicht zählte er die Fladen auf diese feierliche Art und Weise auch, um in Anwesenheit von Zeugen zu versichern, dass er nur seinen rechtmäßigen Teil nahm und keinen einzigen Fladen mehr.
Er war womöglich davon überzeugt, dass sein Wohlergehen von seiner Zunge abhing. Solange er den Mund nicht aufmachte, bliebe er unversehrt. Wie wichtig es war, seine Zunge im Zaum zu halten, wie groß die Macht der Worte und die Möglichkeit einer verbalen Kränkung, hatte ihn sein Vater gelehrt. Und vielleicht hing der andere Rat seines Vaters, nicht auf die Frauen zu hören, eher mit dieser verbalen Neutralität zusammen als damit, nur ja das Brot oder die Kibbeh-Pfannen am Sonntag nicht anbrennen zu lassen.
Als der Krieg ausbrach, begann er seine Wege genau zu planen. Von der Backstube nach Hause und zum Laden, auf den Laden konnte er nicht verzichten – das kleinste Dreieck, sonst nichts. Zum Laden, der etwas weiter weg lag und ohne Deckung war, machte er sich jedoch erst mit Einbruch der Dunkelheit auf, um mögliche Gefahren zu minimieren. Bei der Ladenbesitzerin, einer Witwe, tauschte er manchmal Brot gegen Eier oder Ziegenmilch, die er so gerne kalt trank. Mit lauter Stimme zählte er die Fladen, und genauso laut zählte sie die Eier. Manchmal ging er auch an der Kirche vorbei.
Samîh hatte Sehnsucht nach der Kirche, auch wenn er seinen religiösen Pflichten nicht regelmäßig nachkam. Wegen des Backbetriebs war er von der Sonntagsmesse ausgeschlossen. Wenn er sich nach der Kirche sehnte, betrat er sie flüchtig, tauchte in aller Eile seine Finger in das Weihwasserbecken und kniete an der Wand neben dem Bild der dunkelhäutigen Maria mit den indianischen Gesichtszügen nieder. Der Mäzen, der den Bau der Kirche finanziert hatte – er war schon vor langer Zeit nach Mexiko ausgewandert –, hatte darauf bestanden, dass ihr ein auserwählter Platz in der Kirche zugewiesen werde. Samîh stammelte hastig ein Gebet und ging wieder nach Hause. Abgesehen von einigen wenigen Passanten begegnete er tagsüber nur selten Männern. Aber wenn er irgendetwas fürchten musste, dann die Frauen. Samîh war überzeugt, dass Gefahr für ihn nur von den Frauen ausgehe.
… doch der Tod kam mit den Männern.
Am Tag, als ein junger Mann der anderen Seite getötet wurde, ein Schüler noch, da kamen sie.
Es waren drei, die den Onkel des getöteten Jungen begleiteten.
Sie warteten in geringer Entfernung, während der Onkel auf die Tür zuging.
Mit seinen breiten Schultern sperrte er das von außen einfallende Licht aus.
Der Sohn seines Bruders war Schüler der Philosophieklasse in der Schule der Frères gewesen; er war gerade dabei, sich auf die offiziellen Prüfungen vorzubereiten, die wegen der Ereignisse verschoben worden waren. Seine ganze Zeit hatte er mit Lernen verbracht.
Mit dem Buch in seiner Hand haben sie ihn getötet, hatte seine Mutter weinend gesagt.
Vielleicht hatte sie es im übertragenen Sinn gemeint; vielleicht hatte sie ausdrücken wollen, dass ihr Sohn ein Schüler war, der nichts von der Sprache der Waffen verstand. Vielleicht aber war er wirklich gerade dabei gewesen, seine Lektionen auf dem Balkon zu wiederholen, wo er sich vor den gegnerischen Kugeln sicher fühlte. Die Râmis waren offenbar bis zu einer Stelle vorgedrungen, von wo sie einen rückseitig gelegenen Platz und die neuen Häuser überblicken konnten, deren Bewohner sich weit genug von den Kugeln entfernt wähnten. Sie hatten ihr Leben ganz normal weitergelebt. In dieser Leichtfertigkeit überrumpelten die Râmis sie und erwischten einen von ihnen. Nach dem Vorfall mieden die Bewohner des Viertels jene einsehbaren Plätze oder bauten eine improvisierte Mauer darum, die sie vor den Kugeln aus der gegenüberliegenden Barrikade schützen sollte.
Der Onkel mit den breiten Schultern und den groben Gesichtszügen hatte seine Kinder nicht zur Schule geschickt. Sein
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