Morgen des Zorns
Bruder aber hatte es getan. Das war nun der Lohn.
Kaum hatte der Onkel die Nachricht erhalten, da lief er zum Haus seines Bruders. Er beugte sich zu ihm hinunter:
– Hab ich dir nicht gesagt, du sollst deine Kinder nicht zur Schule schicken?!
Das war alles!
Als sei der Schulbesuch seines Neffen der Grund für dessen Tod.
– Auf jeden Fall wird er gerächt sein, bevor die Sonne untergeht. Das schwöre ich beim Grab meiner Mutter. So sprach der Onkel mit den groben Gesichtszügen zu sich selbst.
Er nahm einen seiner Söhne mit. Einer genügte. Dazu zwei enthusiastische Jungs aus der Verwandtschaft.
Sie wussten von der Anwesenheit Samîhs. Die ganze Familie Samaani wusste von Samîh, aber sie hatten ihn ignoriert, hatten ihn verschont bis zu einem Tag, an dem sie ihn brauchen würden.
Doch ihn nahmen sie sich nicht als ersten vor. Er war schließlich die leichteste Beute. Sie holten ihre Gewehre, stiegen in ein Auto und versteckten sich hinter einer Kurve. Aber sie kamen schon bald wieder zurück.
Wahrscheinlich hatten sie keinen Erfolg gehabt. Wahrscheinlich hatten sie gewartet und gewartet, und niemand war vorbeigekommen.
Also machten sie sich auf zur Backstube.
Der Onkel stellte sich in den Eingang. Dass ein anderer Mann als Samîh die Backstube betrat, kam höchst selten vor.
Samîh drehte sich nicht einmal um. Vielleicht hatte er geglaubt, der Mann suche wegen einer dringenden Angelegenheit seine Frau oder eine Verwandte.
Der Mann redete nicht. Und er kam nicht herein. Er stand einfach in der Tür und sperrte das Licht aus.
Die Nachricht von dem Jungen, der während des Lernens auf dem Balkon seines Elternhauses ermordet worden war, hatte sich noch nicht herumgesprochen. Deshalb scherten sich die Frauen nicht um den Mann in der Tür.
Sie hörten nicht auf, den Teig zu walzen und den Fladen zu vergrößern und Mehl daraufzustreuen. Immerhin hörten sie auf zu reden, vorsichtshalber.
Der Mann hielt seine rechte Hand hinter dem Rücken; als er sie hervorgleiten ließ, kam der Revolver zum Vorschein. Er war geladen und entsichert. Er glänzte.
Der Mann hob den Arm und zielte. Er murmelte unverständliche Worte und gab drei Schüsse ab.
Alle drei trafen Samîh, der gar nicht mitbekommen hatte, was an der Tür der Backstube vor sich ging. Wahrscheinlich hatte er es auch nicht wissen wollen.
Er hatte auf den richtigen Augenblick gewartet, um die Fladen aus dem Ofen zu holen; er hatte auf den leichten Brandgeruch gewartet und auf die kleinen schwarzen Punkte.
Der Mann sagte noch irgendetwas, mit erhobener Stimme, doch die Frauen konnten es nicht hören. Die Explosion der drei Schüsse in der kleinen Backstube hatte ihre Ohren taub werden lassen.
Dann steckte der Mann den Revolver zurück in den Gürtel und zog sich mit seinen Verwandten zurück. Durch die Tür fiel wieder Sonnenlicht in die Backstube.
Samîh stürzte nicht zu Boden.
Er sank auf den Stuhl, der immer neben ihm stand.
Als er dort zum Sitzen kam, schaute er die Frauen an, eine nach der anderen.
In seinem Blick lag ein leichter Tadel.
XVIII
Bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie in dieser Aufmachung empfange, ich lebe schon seit einigen Jahren allein und gehe nur selten aus dem Haus. Meine Aufwartefrau ist diese Woche nicht erschienen, ich weiß nicht, wohin sie verschwunden ist und was ich ohne sie machen soll … Kommen Sie näher, kommen Sie doch, scheuen Sie sich nicht, ich werde Ihnen erzählen, was Sie wissen wollen. Ich weiß nicht, wer Sie zu mir geschickt hat. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie Sie als kleines Kind im Viertel herumgelaufen sind und Kâmleh hinter Ihnen hergerufen hat:
– Elia!
Sie haben sich nicht einmal umgedreht. Aber ich habe immer noch diesen Ruf im Ohr:
– Eliaa …, Eliaaa!
Ich sitze immer hier, das hier ist mein Platz, auf dem roten Kanapee. Ich mag den Samt, auch wenn er im Sommer die Hitze noch verstärkt.
Woher haben Sie dieses Foto? Ich kenne Davidijân, er hatte ein Studio am Platz. Ich kenne auch noch einen anderen Fotografen, den nicht viele kennen, er heißt Jorge al-Andâri, er hat immer so gerne Frauen fotografiert. Und er hat das schönste Porträt von mir gemacht. Ich habe es immer noch. Aber er ist unter mysteriösen Umständen gestorben. Ja, das ist Ihr Vater, das ist Jûssef al-Kfûri, er war ein stattlicher Mann. Ich weiß noch gut, dass er mich immer fragte:
– Wie geht es dir, Sohn des Âssi?
Er war der einzige, der mich »Sohn des Âssi« nannte …
Sehen Sie! Von
Weitere Kostenlose Bücher