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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Douaihy
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ausdrückten. Ich war sechzehn Jahre alt und verließ das Haus nur, wenn ich ins Kino gehen wollte. Ich gehörte zu den wenigen, die sich in einem der beiden Kinosäle im Ort Filme anschauten, damals, als jedes Viertel sein eigenes Kino bekommen hatte. Die restliche Zeit habe ich hier gesessen, jahrelang habe ich meine Zeit hier verbracht, auf genau diesem roten Samtkanapee. Ich habe eine Kuhle hineingesessen, sehen Sie? Ich habe hier gesessen und Lucky Strike geraucht, zwei Packungen pro Tag, und habe mir vorgestellt, wie ich, während ich vor Publikum stehe, Würde und Ernsthaftigkeit ausstrahle.
    Bestimmt hat man Ihnen gesagt, ich sei ein komischer Vogel. Ich weiß, was die Leute über mich reden. Viele haben sich über meine Art zu gehen lustig gemacht und rechnen immer noch nicht damit, dass ich einmal Erfolg haben werde im Leben. Ich glaube, sie tuscheln untereinander, ich sei labil. Die sind schnell bei der Hand mit ihren Urteilen, und die sind dann unwiderruflich. Auf jeden Fall war ich immer auf der Bühne. Sie haben recht, wenn sie sagen, dass ich mit mir selbst beschäftigt war.
    Ich habe mich für Humphrey Bogart gehalten, nur weil einer mal gesagt hat, ich sähe ihm ähnlich. Da habe ich meine Hemden extra bei einem Schneider in Tripolis anfertigen lassen, der immer die Initialen des Besitzers daraufzunähen pflegte. Ich habe ihn gebeten, mir die Buchstaben H und B auf die Brust zu sticken, und er hat sich gewundert, weil er meinen richtigen Namen kannte. Schließlich wusste ich mir nicht anders zu helfen, als ihm zu sagen, die Hemden seien für einen Freund, der die gleiche Größe habe wie ich und dessen Name mit diesen beiden Buchstaben beginne. Das musste er mir glauben. Ich habe versucht, so zu gehen wie Humphrey Bogart. Ich habe mich auch so hingestellt wie er, das habe ich mir im Film »Casablanca« abgeguckt. Wenn ich allein zu Hause war, habe ich mir einen Bogart-Hut aufgesetzt. Und ich habe die Stimme von Jûssef Wahbeh nachgeahmt. Ich hatte Jûssef Wahbeh noch nie im Kino gesehen. Ich kannte nur seine Stimme aus den Hörspielen. Ich habe auch nicht verstanden, was Humphrey Bogart auf Englisch sagte. Deshalb habe ich versucht, die würdevolle Stimme von Jûssef Wahbeh und die männliche Art zu stehen von Humphrey Bogart in meiner Person zu vereinen. Manchmal hat sich meine Mutter neben mich gesetzt und mich liebevoll und ganz ruhig gefragt, was ich denn in der Zukunft einmal werden wolle, mein Vater mache sich nämlich große Sorgen um mich. Er könne vor Kummer nachts nicht schlafen, und sie fürchte, er werde einen Herzanfall erleiden. Ich habe es nicht gewagt, ihr frei von der Leber weg zu sagen, was ich wirklich wollte, weil das meinen Eltern wohlmöglich auf die Gesundheit geschlagen hätte.
    Eines Tages, als meine Mutter mit mir über meine Zukunft, die Arbeit und die vielen Sorgen sprach, haben wir plötzlich einen Schrei gehört, dem ein einzelner Schuss folgte. Dann stieg ein Heulen aus allen Ecken des Viertels auf und wir hörten das Gehupe von Autos und das Dröhnen eines Panzers, der einen Warnton abgab. Dann war die Kirchenglocke zu hören. Im Deuten von Geräuschen hatten wir uns zu Experten entwickelt. Und später, während der Ereignisse, steigerte sich dies noch. Wir wagten uns also nicht hinaus, um nachzuschauen, was los war. Wir zogen es vor, uns nicht einzumischen, und begnügten uns mit dem, was wir hörten. Unser Haus stand isoliert und war nur von Gärten umgeben. Schauen Sie, die Häuser hier rechts wurden erst vor wenigen Jahren gebaut. Es gab demnach keine direkten Nachbarn damals, die wir hätten fragen können, außer Ihrer Mutter Kâmleh. Aber wir wollten sie nicht belästigen, weil wir wussten, wie verletzend sie manchmal sein kann, und wir wollten unseren Frieden haben. Ihre Mutter ist eine starke Frau. An jenem Tag drang auch aus Ihrem Haus Geschrei zu uns herüber. Ein schmerzerfülltes Geschrei. Ich erinnere mich noch gut, wie meine Mutter im Brustton der Überzeugung sagte:
    – Sie haben Jûssef al-Kfûri umgebracht, das ist das Ende der Familie.
    Sie waren damals noch nicht geboren, und wir alle hatten geglaubt, Kâmleh wird keine Kinder mehr haben. Der Bruder Ihres Vaters hatte nie geheiratet, und Ihr anderer Onkel war krank gewesen, wie Sie wissen …
    – Woher wusste sie, dass Jûssef al-Kfûri getötet worden war?
    – Solch einen Schrei stößt Kâmleh nur wegen ihres Mannes aus.
    Aber als das Geschrei zunahm und die unterschiedlichen Stimmen sich

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