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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Douaihy
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Barrikade des Muhsin al-Samaani aus. Muhsin al-Samaani war Hesnehs Bruder. Sein Tag würde kommen. Salîma betrachtete ihren Sohn DeGaulle wie er bei dem Versuch, für sein Bedürfnis das Bad aufzusuchen, ausrutschte. Sie rief einen seiner Brüder zu Hilfe. Sie hatten ihr versprochen, ihm einen Rollstuhl zu besorgen, doch der war sehr teuer. Ohne würde DeGaulle sich nur kriechend durchs Haus bewegen können.
    Sie schlug sich mit der Hand gegen die Brust und verwünschte denjenigen, dessen Kugel ihn getroffen hatte, und betete darum, dass er sein ganzes Leben gelähmt bleibe.
    Sie wussten nicht mehr ein noch aus, und der Kampf dauerte an, deshalb wollten sie mehr …
    … bis eines Tages, Ende September, ein Mann in der Tür des Schusterladens stand und fragte:
    – Wo ist Hesneh?
    Der Mann war ein Kampfgenosse von Salîmas Söhnen. Er richtete die Frage an alle, uns alle vier, die wir dort saßen. Zwei, die hier arbeiteten – Abbûd, der Ladenbesitzer, und ich –, sowie zwei Stammkunden, die morgens ihre Zeit hier verbrachten und wie wir nicht zum Kampf an den Barrikaden taugten. Mein Vater hatte mir schon früh ein Handwerk beibringen wollen, und mein geringes Alter erlaubte es ihm zu behaupten, ich sei für den Kampf nicht geeignet. Abbûd kümmerte sich in der Schusterei um mich, in erster Linie überließ er mir das Kleben und das Einschlagen der Nägel, aber er wollte mich auch in seiner Nähe wissen, damit ich ihm mitteilen konnte, was die anderen sagten. Ich war das Ohr, mit dem er hörte. Als der Mann auftauchte, plauderten wir gerade und tauschten die Neuigkeiten der vergangenen Nacht aus, weil die Schießereien meistens nachts eskalierten und erst gegen Morgen zur Ruhe kamen. Tagsüber schliefen die Kämpfer.
    Niemand kannte den Mann, der die Frage an uns gerichtet hatte, auch ich nicht, und sie hielten es für unpassend, ihn zu fragen, wessen Sohn er sei. Wie üblich erklärte ich mich bereit, die Frage in Abbûds Ohr zu schreien:
    – Wo ist die Hesneh?
    Hesneh war seine Frau. Sie war vor einigen Minuten mit einer Tüte Gemüse vorbeigekommen und ins Haus hinter dem Laden gegangen, doch ich zog es vor, ihren Mann selbst nach eigenem Gutdünken antworten zu lassen.
    – Drinnen.
    Er antwortete, ohne von seinem Schuh, an dem er gerade arbeitete, aufzublicken. Er dachte, ich hätte ihn nach Hesneh gefragt. Dann erst bemerkte er den Mann, der mit seinem Gewehr in der Tür stand. Er hielt inne in seiner Arbeit.
    Alle kannten Hesneh. Sie nannten sie Abbûd Hesneh, nach dem Namen ihres Mannes. In seiner Abwesenheit nannten sie sie so und manchmal, in dem Glauben, er könne sie nicht hören, auch in seiner Gegenwart. Hesneh traf alle Entscheidungen, was Haus und Kinder anging, und sie nahm die Einteilung der Kunden vor in solche, bei denen man nicht auf direkte Bezahlung bestehen musste, und solche, die wenig vertrauenswürdig waren. Es fehlte nur noch, dass sie ihrem Mann Ratschläge bezüglich der Schusterei erteilte!
    – Was macht die Hesneh?, fragte der bewaffnete Mann.
    Die beiden Besucher im Schusterladen wechselten Blicke. Ich hob meine Stimme in Richtung Abbûds Ohr, der erstaunt zu dem Absender der Frage blickte, dem bewaffneten Mann. Abbûd wäre der erste Mann, der von einem Fremden gefragt würde: »Was macht deine Frau?«
    Eine heikle Situation. Viele trugen Waffen. Es war wohl vernünftiger zu antworten.
    – Ich weiß nicht, vielleicht stillt sie den Jungen, sagte Abbûd, an den Mann gewandt.
    Obwohl er auf die seltsame Frage eingegangen war, klang eine gewisse Schärfe in seiner Stimme mit. Abbûd hatte so laut gesprochen, dass ich die Antwort für den Gewehrträger nicht wiederholen musste. Eigentlich hielt der Mann sein Gewehr so, als wollte er bei Sonnenuntergang auf dem Amerîja-Hügel auf Wachteljagd gehen. Man hätte meinen können, er habe einen Umweg über die Schusterei gemacht, um wie viele andere, die täglich bei uns vorbeischauten, Schuhe in Auftrag zu geben, oder um sich ganz einfach der offenen Runde zuzugesellen. Er schien die Frage um der Frage willen gestellt zu haben. Der taube Abbûd antwortete, und der Mann rührte sich nicht und stellte auch keine weitere Frage.
    Abbûd hatte aufgehört zu arbeiten. Er wartete darauf, dass der Mann noch etwas sagte. Vielleicht hatte er geglaubt, dieser hätte noch etwas hinzugesetzt, was er, Abbûd, nicht hatte hören können. Deshalb schaute er hilfesuchend zu mir, doch ich gab ihm einen Blick zurück, der keine Antwort enthielt. Der

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