Morgen des Zorns
schien ihm eher peinlich zu sein.
Wahrscheinlich hatten sie ihm erzählt, dass einige Frauen bei ihren Verwandten im Unteren Viertel Informationen ausplauderten und damit unsere Stellungen verrieten; die Frauen seien Spione, die man »loswerden« müsse.
Als er immer länger wie geistesabwesend dort stand und hinter einem verfallenen Haus und einem brachliegenden Grundstück Richtung Horizont blickte, den Rücken dem Laden zugedreht, nahmen wir unser Gespräch wieder auf.
Abbûds Schusterei war der Ort, wo das letzte Wort fiel. Wer eine Nachricht gehört hatte, kam hierher, um sich ihrer Richtigkeit zu versichern. Und wer eine Meinung hatte, kam, um sie hier zu Gehör zu bringen. Waren alle Stühle besetzt, blieben die Neuankömmlinge einfach stehen.
Die Sache wird sich noch länger hinziehen, sagten sie.
In der auf einen der Stühle hingeworfenen Zeitung hieß es in der Schlagzeile, dass man einer Lösung nähergekommen sei.
Und dass die Amerikaner an der Lösung beteiligt seien.
Seit damals stecken die Amerikaner hinter vielen Dingen, die geschehen.
Chamûn würde mit dem Versuch, seine Präsidentschaft zu verlängern, keinen Erfolg haben.
Es wurde auch gemunkelt, der Oberbefehlshaber des Militärs würde seine Nachfolge antreten.
Abbûd nahm seine Arbeit am Schuh wieder auf.
Mit einem Zeichen gab er mir zu verstehen, dass auch ich mich wieder daranmachen sollte, die Nägelchen in den runden Absatz zu schlagen.
Wir sprachen über Politik.
Über die Neuigkeiten der vergangenen Nacht, ob sie schrecklich war oder eher ruhig.
Und dann, ganz unvermittelt und ohne dass wir wussten, wie es dazu gekommen war, wurde über Waffen gesprochen.
Alle waren sie Waffenexperten, selbst wir in Abbûds Schusterladen, die wir gar nicht zum Kampf taugten.
Ein Lob auf das halbautomatische Gewehr, Schuss für Schuss. Für weite Entfernungen und gezielte Treffer gab es keine Alternative. Es durchdrang den Stamm einer Pappel.
Ein Lob auf das kalibrierte Gewehr mit der extra langen Reichweite. Es war neu für sie, und erst nach und nach entdeckten sie seine Vorzüge.
Ein Lob auf den Revolver Kaliber 12. Den beteten sie an.
Ein Lob auf alle Waffen der verschiedensten Sorten.
Plötzlich trat der Mann von der Tür ein Stück in den Laden herein. Das Gespräch über die Waffen verstummte.
Ohne Vorwarnung hob er an. Redete mit lauter Stimme dieses Mal; wie jemand, der auch auf einen Tauben einredet, zählte er die Vorwürfe gegenüber Hesneh auf. Er wandte sich an Abbûd, ganz sicher, wie weit er seine Stimme heben musste. Welche Lautstärke ausreichte, um auf mich verzichten zu können. Genauso wie er bei seinem Kommen mit den Worten geknausert hatte, so löste sich jetzt seine Zunge. Und sein Gewehr verlieh ihm eine Überlegenheit über uns – die wir uns damit begnügten, die Getöteten und Verletzten zu zählen und uns schutzsuchend an den Mauern entlangdrückten, um nach Hause zu kommen.
– Hesneh geht heimlich zu ihrer Familie runter. Oder sie lässt ihnen irgendwie Informationen zukommen. Auf jeden Fall macht uns ihr Bruder Muhsin ganz schön zu schaffen. Von seiner Barrikade aus ist Khadra, die Frau von Abu Harûn, getötet worden, und DeGaulle al-Râmi ist von dort aus in den Rücken geschossen worden …
– He, Mann, komm zur Vernunft!, warf einer der Anwesenden ein.
– Die Frau hat gerade ein Kind zur Welt gebracht, die ist ganz vernarrt in ihren Sohn. Wieso sollte sie ins Untere Viertel gehen und ihren Säugling zurücklassen?
Abbûd antwortete nicht. Seine Augen weiteten sich immer mehr. Langsam begann er zu begreifen, warum der Mann kurz vorher nach Hesneh gefragt hatte.
– Sie hat ihren Bruder benachrichtigt, und ihr Bruder hat überall herausposaunt, wo der 60-mm-Granatwerfer steht. Wir haben festgestellt, dass sie wie die Wilden in diese Richtung geschossen haben. Wir mussten ihn versetzen und die Koordinaten ändern, und jetzt treffen wir unsere Ziele nicht mehr richtig.
– Wer hat euch denn solche Lügengeschichten aufgetischt? Dem sollte man die Zunge abschneiden …
Plötzlich tauchte Hesneh auf. Sie hatte das ganze Gespräch aus dem Raum hinter dem Laden mitverfolgt. Das Haus bestand nur aus zwei Zimmern. Sie trug den Säugling nicht auf dem Arm, den hatte sie der ältesten Tochter übergeben. Der Besucher im Laden mischte sich wieder ins Gespräch:
– Kommt doch zur Vernunft, so was zerstört eine Familie. Wir dürfen uns nicht gegenseitig fertigmachen, Hesneh ist eine von uns geworden,
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