Morgen des Zorns
Stück Boden, welches er im unteren Teil von Harîk besaß, lag ungeschützt zur anderen Seite hin. Er hatte die Warnung eines alten Freundes erhalten. Ein Jugendfreund – seine Jugend war längst vergangen, Jûssef ging auf die siebzig zu – hatte ihm durch Pater Bûlos heimlich eine Nachricht zukommen lassen: Sie beobachteten ihn von der Barrikade aus, die sie auf dem Dach des Klosters errichtet hatten; beim letzten Mal hatten sie es nur auf seine Oliven abgesehen, doch beim nächsten Mal würde er ihren Kugeln nicht entgehen.
– Sie werden dich töten, Jûssef, hatte Pater Bûlos zu ihm gesagt. Geh nicht mehr nach Harîk hinauf. Ihr habt schon einiges einstecken müssen, das reicht doch!
Sie warteten auf das täglich mögliche Eintreffen eines deutschen Gewehrs mit Zielfernrohr.
Jûssef war im Leben nichts geblieben als sein Olivenhain.
Er lag im Streit mit seinen Nachbarn und mit seiner Familie, sie mochten ihn und er sie nicht. Weil die Nachbarn sich so unbändig über ihn lustig gemacht hatten, hatte er sie eines Tages mit Steinen beworfen. Wenn er an ihnen vorüberging, grüßte er nicht einen. Auch mit seiner Frau Salîma und seinen fünf Söhnen lag er im Streit. Nachdem einer von ihnen getötet worden war, waren ihm nur noch vier geblieben. Sie fragten ihn nicht nach seiner Meinung, und er hielt mit ihr hinter dem Berg. Sie aßen zu Mittag, ohne ihn dazuzubitten, und sie starben, ohne ihn zu fragen. Ihre Mutter führte das Regiment.
Er hatte sich im Olivenhain eine Laube errichten wollen, wohin er nachts vor Salîma hätte flüchten können. Schon lange hatte er keinen Freund mehr. Mit seinem alten Freund aus dem Unteren Viertel, der ihn vor dem deutschen Gewehr mit dem Fernrohr gewarnt hatte, verband ihn weniger eine Freundschaft selbst als die Erinnerung daran.
Auf der Flucht aus dem eigenen Haus und aus dem Viertel zog es ihn nach Harîk. Dort blieb er bis zum Anbruch der Nacht, bekämpfte den Bocksdorn, errichtete eine unnötige Steinumzäunung, ganz allein und mit seinen bloßen Händen, nur um nicht allzu früh nach Hause zu müssen.
Aber jetzt saß er zu Hause. Er war zu alt zum Kämpfen, und er lehnte diesen Krieg ab. Er zählte die Tage, bis er wieder zu seinem Olivenhain würde zurückkehren können.
Auch seine Frau, Salîma al-Hâmâti, wusste nicht mehr ein noch aus.
Sie bedachte diejenigen, die sich vor dem Kampf drückten, mit zornigen Blicken, holte Informationen über sie ein, tat diese laut und deutlich kund und stellte die Leute in aller Öffentlichkeit bloß, wo immer sie sich gerade befand. Sie fürchtete niemanden. Der Soundso wurde von seiner Frau ins Dorf ihrer Eltern gebracht, damit er sich dort unter ihrem Rock verstecken kann! Was sind das bloß für Männer, so eine Schande! Der Soundso hat zwei Kisten Munition verhökert, anstatt damit zu kämpfen, und das Geld hat er in die eigene Tasche gesteckt. Wenn man den Soundso zum Kämpfen auffordert, behauptet er immer, er sei krank.
Sie verfolgte alle mit ihrer bösen Zunge, angefangen bei ihren eigenen und den »Blutsverwandten« ihres Mannes. Ganz besonders aber bei ihren eigenen. Wenn sie davon erfuhr, dass einer von ihnen sich in Sicherheit zu bringen gedachte, um seine Kinder zu retten, warf sie ihm beißende Worte an den Kopf.
Ihre Kinder gehen zur Schule, damit sie bloß kein einziges Jahr ihres Lebens vergeuden, während unsere Kinder an den Barrikaden stehen, wo sie ihre Ehre verteidigen, sagte sie.
Ihre Söhne füllten Säcke mit Sand. Sie stapelten sie auf den Dächern in Reihen und gossen Wasser darüber. Und sie schossen mit allem, was sie besaßen, mit Kugeln und mit Beschimpfungen.
Tage der Ruhe für die anderen, Tage des Krieges für sie.
Man nannte sie »Salîmas Söhne«.
Es waren ihrer fünf, Hâschim, Saîd, genannt »Abu Ali«, Franscis, Schâkir (Abu Laila) und DeGaulle.
Saîd war bereits zu Beginn der Kämpfe getötet worden. Vielleicht war er sogar das erste Opfer des Barrikadenkriegs gewesen. Ihm war eine Handgranate in den Händen explodiert, die er gerade inspizierte. Der Jüngste, DeGaulle, war von einer Kugel in den Rücken getroffen worden. Jetzt war er nahezu vollständig gelähmt. Täglich, etwa zur Mittagszeit, hatte er seine Barrikade verlassen, um von zu Hause das Essen für seine Brüder zu holen. Sicher hatten sie ihm dabei aufgelauert und ihn schließlich erwischt. Eine einzige Kugel nur gaben sie auf ihn ab, aus einem »geradläufigen« Gewehr. Von der ihnen gegenüberliegenden
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