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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Douaihy
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hat mir erzählt, dass er nicht sofort tot gewesen ist.
    – Hat er geschossen?
    – Nein, er stand in der Schusslinie.
    – Wie? Ich verstehe nicht.
    – Er war inmitten des Getümmels, ohne es zu wollen. Er gehörte nicht zu den Leuten, die kämpfen, Ihr Vater, er war liebenswürdig, er scherzte mit jedem und konnte die Scherze von anderen aushalten. Als wir die Männer durchgezählt haben, auf die wir uns im Kampf verlassen können, haben wir ihn nicht mitgerechnet, er wollte auch nicht mitgerechnet werden.
    – Sind Unschuldige gestorben?
    – Ja, viele.
    – Warum?
    – Weil es Fremde waren, sie hatten nichts damit zu tun, ihr einziger Fehler war, dass sie in der Messe waren …
    – Hat mein Vater eine Waffe getragen?
    – Ja, um sich selbst zu schützen. Wir alle haben eine Waffe getragen. Er hatte seine Waffe erst einige Tage zuvor gekauft.
    – Hat er früher schon einmal geschossen?
    – Nein, Ihr Vater war ein guter Mann …
    Das Gespräch kommt ins Stocken, dann setzt der Mann wieder an:
    – Warum sind Sie zurückgekehrt?
    – Um meine Mutter nach zwanzig Jahren Abwesenheit zu besuchen.
    – Möge Gott Sie schützen … Ich gebe Ihnen einen Rat: Hören Sie nicht auf jeden.
    – Ich dachte, wenn ich aus Amerika hierherkomme, werde ich die weiße Mandelblüte sehen, ich erinnere mich, dass jetzt die Zeit dafür ist.
    – Der Frühling ist früher gekommen dieses Jahr, deshalb sind die Blüten vor Ihrer Ankunft abgefallen. Richten Sie Kâmleh meine Grüße aus.
    Er geht zurück in die Straßen des Dorfes. Er versucht sich an die Grenzen zu erinnern und sie nachzuzeichnen.
    Er notiert in sein Heft: »Die Orte sind unverändert, auch die Menschen, die Augen der Frauen, das Schweigen der Männer. In unserer Kindheit spielten wir in unserem Viertel und streiften darin umher, und nun spaziere ich hindurch, abwärts in Richtung Fluss, kein einziges Haus hat sich verändert. Die Erwachsenen pflegten in den Läden im Viertel einzukaufen und in der Kirche des Viertels zu beten und in der Mühle den Weizen zu mahlen … Wir hörten von den Vierteln unserer Gegner, doch wir bekamen sie nicht zu sehen; bevor ich nach New York ging, bin ich nicht ein einziges Mal zu Fuß durch ihr Viertel gegangen. Wir haben es nur zweimal mit dem Auto durchquert. Ich fürchtete mich sogar vor diesem raschen Durchqueren, fürchtete, dass sie sich uns in den Weg stellen und aus dem Auto zerren, um uns an die Wand zu stellen und zu erschießen. So stellte ich mir das vor, obwohl ich sie durch Straßen laufen und miteinander reden sah, ohne dass sie sich um die Autos auf der Straße oder deren Passagiere darin kümmerten. Wir setzten unseren Fuß nicht in ihr Viertel, wir wussten, dass wir die sichere Zone überschritten, wenn wir bei unseren Ausflügen bis an gewisse Kreuzungen gelangten, und so machten wir kehrt, ohne Absprache oder gegenseitige Warnung. Ich werde ihr Viertel jetzt besuchen, aber ich weiß nicht mehr, wo die Grenze zwischen den beiden Vierteln ist … Vielleicht durchquere ich es jetzt gerade, ohne es zu wissen.«
    Elia malt eine Windrose oben auf die Seite, zeichnet die Hauptstraßen und einige Nebenstraßen ein, trägt Zeichen ein, die auf die Lage der Häuser der Familienoberhäupter hinweisen, sowie Kreuze, die die Lage der Kirchen anzeigen. In jedem Viertel gibt es eine Kirche, jedes Viertel hat einen Priester, einen Metzger und einen Schuhmacher. Als es den Bewohnern des Unteren Viertels unmöglich gemacht wurde, die Leichname ihrer Verstorbenen zum öffentlichen Friedhof zu bringen, behalfen sie sich mit einem kleinen, leicht erreichbaren Hain. Er kehrt zum Mandelhain zurück, dort liegt sein Vater begraben. Er denkt darüber nach, eine besondere Grabstätte für ihn zu errichten, aber er weiß, dass seine Mutter Widerspruch einlegen wird. Sie müssen zusammenbleiben, sie sind zusammen gestorben und sie bleiben zusammen, sagt Kâmleh. Und so sagen es alle.
    Er fotografiert die Häuser der Familienoberhäupter und die Kirchen. Er hält einen Passanten an, um ihn zu fragen, wo die Frontlinie war. Er muss es wissen.
    – Welche Frontlinie?
    – Im Jahr 1958.
    Der Mann reißt ob der Frage, die ihn Jahrzehnte zurückversetzt, vor Überraschung die Augen auf, und bevor er sich zu einer Antwort entschließt, fragt er:
    – Wer sind Sie? Ein Journalist?
    – Elia al-Kfûri.
    Der Mann zaudert.
    – Woher kenne ich Sie?
    – Sie kennen mich nicht.
    – Wessen Sohn sind Sie denn?
    Der Mann spuckt kein Wort aus, bevor er

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