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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Douaihy
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das Baden eingeführt. Vater versuchte sich uns zu entziehen.
    – Nein, nein, lasst mich, mein Kinn ist voller Seife.
    Er würde uns jetzt nicht küssen, und auch in den folgenden Tagen und Monaten nicht.
    – Lasst euren Vater in Ruhe!
    Meine Mutter hatte begriffen, dass eine schwere Bürde auf ihm lastete und dass er mit seinen Küssen eingestehen würde, seine Verwandten im Stich gelassen zu haben.
    Er stellte sich wieder vor den Spiegel, um sich fertig zu rasieren. Vom Wohnzimmer aus hörten wir ihn immer wieder kurz pfeifen, wie er es tat, wenn er den Chevrolet um gefährliche Kurven steuerte. Durch dieses Pfeifen suchte er Erleichterung.
    – Hamîd!
    Wir schraken zusammen. Schon wieder die Stimme des redegewandten Dicken. Sie waren zurückgekehrt, so leicht würden sie Vater nicht entkommen lassen. Mutter machte das Zeichen des Kreuzes, und wir waren erneut auf der Hut.
    – Ja?, fragte Vater in trockenem Ton, als er ihnen die Tür öffnete.
    Dieses Mal war sein Kinn sauber, das Hemd bis oben zugeknöpft.
    Die beiden Männer zögerten, forderten sich gegenseitig zum Sprechen auf.
    – Sag du es ihm.
    – Nein, du.
    Vater erhob seine Stimme:
    – Was ist los? Nun redet schon!
    Vater erhob nur selten seine Stimme. Wut war ihm lästig, und wenn er uns einmal anschrie, dauerte es nicht lange bis zur Wiedergutmachung. Ein Scherz, ein Kuss oder ein wenig Geld.
    Der Mann mit dem schräg sitzenden Hut nahm die Sache nun entschlossen in die Hand:
    – Gib uns deine Pistole.
    Vater hatte sie vor zwei oder drei Monaten gekauft. Von einem Waffenhändler. Er war lachend damit nach Hause gekommen und hatte uns erzählt, wie der Verkäufer penibel die Geldscheine, die mein Vater ihm überreicht hatte, sortiert und dann in seine Tasche gesteckt hatte.
    – Hoffentlich benutzen Sie sie nur zum Jagen …, hatte er ihm, glücklich über dieses erfolgreiche Geschäft, gewünscht.
    Vater sagte uns nicht, warum er einen Revolver gekauft hatte, den er nicht benutzen würde. Wahrscheinlich war die Zeit gekommen, in der er seiner Familie und seinen Cousins nicht mehr sagen konnte, er besitze keine Waffe.
    Er probierte sie am Fest der Verklärung aus, doch schon beim dritten Schuss hielt er inne. Der Revolver hatte Ladehemmungen, wie man sagt.
    – Weil er wenig benutzt wird!, scherzte einer seiner Freunde, die neben ihm standen. Ein Scherz, der nur allzu gut zu meinem Vater passte. Keine volle Woche trug er den Revolver an der Hüfte, dann versteckte er ihn im Haus. Wahrscheinlich war er ihm lästig geworden, das Gewicht hatte ihn ermüdet. Wir wussten, dass es bei uns zu Hause einen Revolver gab, wussten aber nicht, wo er aufbewahrt wurde. In jedem Haus gab es ein Versteck für Waffen, schließlich wäre es durchaus möglich, dass der Staat eines Tages durchgreifen und beschließen würde, die privaten Waffen einzusammeln.
    – Ich soll euch meine Pistole geben?
    Die Forderung hatte ihn, wenngleich er die Waffe eigentlich nicht benutzte, überrascht.
    – Wir geben sie dir noch heute Abend oder morgen früh zurück … Vielleicht brauchen wir sie, setzte der mit dem Muttermal auf der linken Wange hinzu.
    – Du brauchst sie doch nicht, es wird dir schon kein Unheil widerfahren, solange du mit deiner Frau zusammen bist.
    Er hatte nicht gesagt »solange du mit deiner Frau und deinen Kindern zusammen bist«. Offensichtlich wollte er Vater beleidigen. Wir hatten diesem Detail keine Bedeutung beigemessen, doch Mutter hat es uns später erklärt, als wir auf dem Weg zur Kadîscha-Grotte waren. Und tatsächlich rührte sich etwas in meinem Vater, doch nicht wie erwartet.
    Festen Schrittes ging er mit hochrotem Kopf in Richtung Küche an uns vorbei, sein Blick kündete von einem schwerwiegenden Entschluss. Vom Wohnzimmer aus, wo wir uns versammelt hatten, um gemeinsam auf ihn zu warten, folgten wir ihm mit den Augen. Er öffnete das Brotfass, streckte seine Hand bis zum Boden hinein und beförderte den Revolver in seinem schwarzen Lederhalfter hervor. Ein leicht zu findendes Versteck. Wäre einmal der letzte Fladen Brot verbraucht gewesen, hätten wir es entdeckt.
    Er eilte zurück, wir sahen von hinten, wie er in der Tür stand.
    – Bitte!
    Er erinnerte an die Offiziere in den Filmen über den Zweiten Weltkrieg, die vom Militärgericht degradiert worden waren; oder an das Bild mit dem französischen General im Geschichtsbuch, von dem wir später erfahren sollten, dass er Jude gewesen war; er trug bunte Kleidung und übergab sein Schwert

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