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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Douaihy
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    Munîr schlug weiterhin gegen die Wand. Wir erfuhren, dass seine Kameraden ihn beim Spielen ausgeschlossen hatten. Sie hatten ihn beim Kriegspielen – dem einzigen Spiel, das sie kannten – nicht geduldet, ein Spiel, das sie mit Waffen aus Schilfrohr spielten und bei dem sie das Geräusch von prasselnden Kugeln nachahmten; sie hatten ihn – natürlich – nicht als Soldaten und ebenso wenig als einen Flüchtigen mitmachen lassen, unter dem Vorwand, dass sein Vater sich nicht traue, mit seinem Revolver zu schießen. Er hatte sie angefleht, ihn als Wärter des Gefängnisses zu akzeptieren, das sie errichtet hatten, um die Flüchtigen der Gerechtigkeit zuzuführen, doch sie blieben hart.
    Wütend hatte er auf den Boden gestampft, war in Tränen ausgebrochen und schließlich nach Hause gerannt, um an uns Rache zu nehmen.
    Dann war es an uns Mädchen, zu erzählen, was uns widerfahren war. Man warf Mutter vor, sie habe schon nach drei Monaten ihr Schwarz abgelegt und uns Töchter keine Trauerkleidung tragen lassen; obwohl wir schon »junge Damen« seien, also mündig, wie es hieß.
    Nach einer Weile kam Vater. Wir erzählten ihm, dass Munîr sich im Schlafzimmer verschanzt habe. Lächelnd näherte er sich der Tür.
    – Munîr?
    – Wie heiße ich?
    Die Frage meines Bruders überraschte alle. Vater lachte.
    – Munîr Hamîd Girgis al-Samaani, antwortete er stolz.
    – Nein …
    – Wie nein?
    – Nein.
    – Wie heißt du denn sonst?
    – Sie sagen, wir gehören nicht zur Samaani-Familie …
    Das hatte man ihm nicht erst an jenem Tag an den Kopf geworfen; Munîr tischte nun alle Beleidigungen auf, die er hatte ertragen müssen.
    – Wer sagt das?, fragte ihn Vater im Tonfall des Unterlegenen. Er hatte die Situation sofort begriffen.
    – Meine Kameraden …
    – Haben sie dir das heute gesagt?
    – Nein, sie sagen das jeden Tag.
    – Wer sagt das?
    – Zuallererst mein Vetter George.
    – Und was antwortest du ihnen?
    – Ich weiß nicht.
    Vater geriet in Wut, doch sie hielt nicht lange an. Wie gewöhnlich.
    – Wie kannst du das dulden, wie kannst du dazu schweigen, sagst du ihnen nicht, dass du sogar noch eher ein Samaani bist als sie?
    Munîrs Stimme klang weinerlich, resigniert:
    – Sie sagen, dass wir nach unserer Mutter schlagen, dass wir aus Masraa sind.
    – Was sagen sie noch?
    Munîr schwieg. Als hätte er alles gesagt, was er auf dem Herzen hatte. Doch Vater begnügte sich nicht damit.
    – Was?
    – Sie sagen, du bist kein Mann.
    Vater lächelte bitter.
    – Schon gut, ich bin kein Mann. Mach die Tür auf, mein Junge, mach auf!
    Dann setzte er so leise hinzu, als spreche er mit sich selbst:
    – Keine Sorge, ab heute wirst du so etwas nicht mehr zu hören bekommen …
    Genau zwei Monate später brachte er uns hierher. Wir ergriffen alle erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen, um das Dorf ohne Aufsehen und ohne Nachfragen zu verlassen. Um die Blicke der Leute zu vermeiden, luden wir unsere Möbel nachts auf. Von dort fortzugehen, war stets der große Traum meiner Mutter gewesen, und es war unser zweiter Verrat an unseren Verwandten. Mein Vater mietete dieses Haus hier für uns, weil es auf die Bucht blickt, und nach einigen Jahren konnten wir es kaufen. Gleich nachdem wir hier angekommen waren, nahmen wir von der alten Schaukel Besitz, die ein ununterbrochenes Quietschen von sich gab; zu viert saßen wir Kinder nebeneinander und beobachteten die Lichter der Fischerboote, wenn an warmen Sommerabenden der Mond auf der Wasseroberfläche glitzerte. Und wenn wir manchmal zu später Nachtstunde erwachten, fanden wir Vater rauchend draußen stehen, als zählte er die Sterne.
    Wir haben hier viele Freunde gefunden, doch sagen wir, woher wir kommen, reißen unsere neuen Kameraden ungläubig die Augen auf. Wie konnten wir von dort sein, mit so einer zarten Konstitution und einem so weichen Dialekt?
    Vater eröffnete einen Eisenwarenladen in einer Geschäftsstraße, er bot alles zum Verkauf, was Schreiner und Anstreicher brauchen; er fand viele Freunde hier, und unsere Nachbarn waren stets nette Leute. Doch er sehnte sich immer nach seinen Verwandten aus seinem Dorf. Sobald er einen von ihnen entdeckte, lief er auf ihn zu, sprach ihn an; mitunter erkannte er sie an ihrem Äußeren, dann rief er sie mit ihrem Familiennamen an, er erkannte sie seiner Meinung nach an ihren blonden Haaren und ihrer hohen Statur. Er begleitete sie dorthin, wohin ihr Anliegen sie führte, auf ein Amt oder zum australischen Konsulat, um

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