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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Douaihy
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einem anderen Offizier, welcher es über seinem Knie zerbrach. Jene oder auch andere erinnerten uns, wenn unser Blick erneut auf sie fiel, an Vater, wie er in der Haustür stand und mit einer Hand dem Dicken seinen Revolver hinhielt und dem Mann mit dem Hut mit der anderen Hand die beiden Magazine, während das Tageslicht die drei Männer überflutete und bis ins Wohnzimmer hineindrang.
    Aber wir Kinder trugen an jenem Tag den Sieg davon, wir unternahmen unseren Sonntagsausflug. Es war ein sonniger und heißer Tag, und ich kann mir nicht erklären, woher der Regenschauer kam, der vom Himmel fiel, als sich der Vorfall ereignete.
    Schweigsam steuerte Vater das Auto. Von Zeit zu Zeit erhöhte er die Geschwindigkeit; ohne es selbst zu bemerken, wie er sagte, bis Mutter ihn daran erinnerte, dass die Kinder allesamt auf dem Rücksitz säßen; da drosselte er die Geschwindigkeit, um nach einer Weile den Druck auf das Gaspedal wieder zu erhöhen.
    Auch während des Mittagessens sprach er kaum, manchmal ließ er ohne ersichtlichen Grund ein lautes Lachen hören, dann verfiel er wieder in langes Schweigen. Später würde er uns erzählen, dass er für diesen Tag Unheil vorausgeahnt hatte. Wenn wir ihn neckten, lachte und scherzte er mit einem von uns, dann blickte er auf seine Armbanduhr, hörte auf zu essen und versank wieder in Gedanken.
    Am Abend kehrten wir zurück.
    Farîd Badawi al-Samaani, der mit dem schräg sitzenden Hut und Cousin meines Vaters, den wir an jenem Sonntagmorgen zum ersten und letzten Mal in der Tür unseres Hauses gesehen hatten, war nicht zurückgekehrt.
    Man hatte ihn auf dem Kirchplatz gleich vor dem Hauptportal der Mädchenschule auf ein Bett gelegt. Seine Mutter, die sich über seinen Kopf beugte und mit seinem Seidenhemd wedelte, bevor sie es ihm anzog, war so heiser geworden, dass sie nur noch den Mund öffnete und die Lippen bewegte, ohne dass ein Laut herauskam. Als man ihn zudeckte, betrauerte ihn Nusha Murâd, das Klageweib, mit den Worten, er sei der »beste« Schneider gewesen und habe »Anzüge wie von der Stange« gemacht.
    Der beredte Dicke, Ajjûb, ist bis heute am Leben; er war am Mund und am Bein getroffen worden. Im »Telegraph«, der am nächsten Tag erschien, hatte man ihn zu den Toten gerechnet, doch nach einer mehrstündigen Ohnmacht und enormem Blutverlust war er wieder zu sich gekommen. Auch Ajjûb ist ein Cousin meines Vaters; er aber hatte uns von Zeit zu Zeit besucht.
    Nach dem Vorfall fühlten sie sich jedenfalls alle wie Cousins.
    Das Gerede über uns verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Über uns, das heißt, über Vater. Sein Fehler war der Ausflug zur Kadîscha-Grotte gewesen. Und über Mutter.
    Wir Mädchen, meine Schwester und ich, bewahrten die Gemeinheiten, die man uns manchmal an den Kopf warf, wohlbehütet im Herzen auf. Mein zehnjähriger Bruder aber konnte die spitzen Pfeile nicht ertragen. Er konnte die ganze Sache noch nicht verstehen. Eines Tages kehrte er vorzeitig nach Hause zurück, noch vor Sonnenuntergang – bis zu diesem Zeitpunkt war es ihm erlaubt, draußen zu bleiben –, und schlug aus Wut alle Türen hinter sich zu.
    – Mach die Tür auf, Munîr.
    Wir versammelten uns vor der von innen verschlossenen Schlafzimmertür. Wir konnten nur dumpfe Schläge gegen die Wand vernehmen, mit der Faust, vielleicht auch mit dem Kopf. Wir hatten Angst um ihn. Wir drohten, die Tür aufzubrechen, wenn er nicht redete.
    Weil er stur blieb, flehten wir ihn an, doch zu versuchen, uns zu verstehen. Da erst rückte er mit der Sprache heraus:
    – Ich will wissen …
    – Was willst du?, ermutigten wir ihn, sogleich die Chance ergreifend.
    – Sagt mir jetzt, jetzt, wo ist Papas Revolver?
    Wir wussten nicht, was wir ihm antworten sollten. Er stampfte mit dem Fuß auf:
    – Wer hat ihn genommen?
    Auch Vaters Pistole war nicht zurückgekehrt. Er hatte sie nicht zurückgefordert. Aus Scham. Man hatte ihm gesagt, derjenige, der sie benutzt hatte, habe sie auf den Boden geworfen, nachdem er die Patronen verschossen hatte, um den zweiten Revolver zu ziehen, und so hatte er sie verloren. Später berichtete man ihm, seine Pistole sei nicht verlorengegangen, sondern noch im Besitz eines seiner Verwandten, doch Vater kümmerte sich nicht darum. Natürlich kreiste der Verdacht um Ajjûb, doch Ajjûb war aufgrund seiner erlittenen Verletzungen vor jeglicher Nachfrage gefeit. Drei Kugeln im Körper.
    Auf jeden Fall hatte Vater nichts dagegen, seine Abwesenheit mit seinem Revolver zu

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