Morgen des Zorns
Flecken hinterlassen, obwohl es noch früh am Morgen war.
Der andere war groß, hatte sich eine Krawatte umgebunden und einen amerikanischen Hut schräg auf den Kopf gesetzt; im Mund steckte eine Zigarette, und auf der linken Wange prangte ein Muttermal. Wir sahen ihn zum ersten Mal, er warf befremdliche Blicke ins Haus. Später würden wir erfahren, dass er Farîd Badawi al-Samaani hieß.
– Zieh dich an … Wir wollen zur Beerdigung, sagte der Dicke.
– Was gibt es?
– Eine Beerdigung.
– Beerdigung von wem?
– …
– …
Zum ersten Mal hörten wir von Burdsch al-Hawa.
– Ist das Dorf weit entfernt, Mama?
– Ja, weit. Und der Weg dorthin ist beschwerlich.
Vor Scham und Sorge hatte Mutter aufgehört, sich schönzumachen. Sie lauschte intensiv auf die Worte der beiden Männer.
– Weiter als Masraa?
– Ja, weiter als Masraa.
Masraa ist das Dorf, aus dem Mutter kommt.
Wir konnten es vom Fenster unseres Hauses aus sehen, am Fuß des Berges gegenüber, des Feuerberges, von dem es heißt, er sei einst ein Vulkan gewesen. Mutters Dorf besteht aus einer Ansammlung von Bäumen und Häusern. Es ähnelt einer kleinen Oase, die die Menschen mit viel Geduld und Sorgfalt am Fuße dieses kahlen Berges angelegt haben. Als mein Vater uns das Fernglas geschenkt hatte und wir es zum ersten Mal Richtung Masraa richteten, tauchten vor uns ganz unvermittelt und aus purem Zufall mein Großvater und mein Onkel, der Bruder meiner Mutter, auf, die einen Aprikosenbaum fällten. Die Köpfe hatten sie als Schutz vor der Sonne mit einem weißen Tuch bedeckt, dessen Enden zusammengeknotet waren.
Das Gespräch an der Tür wurde im Flüsterton geführt.
– …
– …
– Der Bek geht auch, sagte Ajjûb schließlich fordernd.
Ein Argument, das seiner Meinung nach für sich sprach.
Der Mann mit dem schräg sitzenden Hut schaute ins Haus, eigentlich inspizierte er mehr unsere Kleidung und unsere Möbel als uns, während sein Kumpel meinen Vater zu überzeugen suchte.
Der beredte Ajjûb und sein schweigsamer Kamerad.
Vater bat sie nicht herein, die Seife im Gesicht, das Rasiermesser in der Hand und die Schultern von schwarzem dichtem Haar bedeckt, blieb er an der Tür stehen. Der Dicke redete über die anstehenden Wahlen, wie schwer der »Wahlkampf« sei, und dass wir unseren »Einfluss« unter Beweis stellen müssten, wobei er eine Bewegung mit der rechten Hand machte. Er schwieg einen Augenblick, um auf Vaters Antwort zu warten, man hätte meinen können, er hätte dieses Wort »Einfluss« erst neulich gelernt oder von jemandem gehört, den er für intelligent hielt, und probierte nun, wann immer sich die Gelegenheit bot, seine Wirkung aus.
Dann erging sich der Mann in langen Erklärungen; er sagte, dass die »Existenz« für die Provinz unbedingt notwendig sei und dass man sich vor »den Leuten« vorsehen müsse. Er führte Beweise dafür an, dass sie treulos seien, und benutzte gerne hocharabische Ausdrücke, die meine Mutter zu verstehen gelernt hatte. Während der Dicke redete, verfinsterte sich Mutters Miene immer mehr. Sie kannte meinen Vater und dessen Cousins. Wenn sie schwieg, würden sie ihn mitnehmen, und wenn sie sich einmischte, brächte sie ihn in Verlegenheit.
Das Handtuch in der Hand, mit dem er sich Stück um Stück den Seifenschaum aus dem Gesicht wischte, hörte Vater zu. Dies war seine Art, an den Genuss des Rasierens anzuknüpfen und sich selbst Zeit zum Nachdenken zu gewähren.
Als hätte er all seine Beweise angeführt und seinen Wortschatz aufgebraucht, hörte Ajjûb plötzlich auf zu reden. Er wartete auf Vaters Antwort, die jedoch ausblieb. Schweigen hing in der Luft. Wir hatten das Gefühl, Vaters Schweigen bedeutete, dass er uns den Vorzug gab.
Schließlich war der Mann mit dem schräg sitzenden Hut an der Reihe:
– Wenn du nicht mit uns kommen willst, gib uns das Auto, wir sind zu viele für die wenigen Autos …
– Nein …, entfuhr es uns da wie aus einem Mund.
Vater hieß uns schweigen, ohne ihnen indes zu antworten. Ein weiteres Mal ein beredtes Schweigen, das zu verstehen den beiden Männern nicht schwerfiel; sie drehten sich um und gingen.
Vater schloss die Tür, das geöffnete Rasiermesser noch immer in der rechten Hand. Er war nicht wie sonst. Wir vier Kinder drängten uns um ihn und küssten ihn. Auch das war eine Erfindung von Mutter: Küsse bei allen möglichen Gelegenheiten; ebenso hatte sie für uns Mädchen alle zwei Tage und für die Jungs zweimal in der Woche
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