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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Douaihy
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nicht wieder zurückkehrte.« Aber diesen langen Satz aufzuschreiben, hat mich furchtbar ermüdet, es hat eine geschlagene halbe Stunde gedauert, und deshalb habe ich ihn auswendig behalten. Ich habe ihn noch mal gelesen und mir dann gesagt: Das ist eine schwierige Aufgabe für dich, und wer wird sich schon für deine Geschichte interessieren, Kâmleh? Im Vergleich zu dem anderer Leute ist dein Los leicht zu ertragen, niemand kann einem anderen etwas abnehmen. Besser, du hörst wieder auf damit. Später habe ich mir mehrmals vorgenommen, wenn ich so alleine hier auf dem Balkon gesessen habe und die Menschen hören, aber nicht mehr sehen konnte …, da habe ich mir vorgenommen, genau so zu erzählen, wie ich jetzt mit dir spreche, und Muntaha zu bitten, es aufzuschreiben. Ja, die Muntaha. Ich habe niemanden mehr außer Muntaha, meine Freundin, meine Nachbarin, sie kommt mich fast täglich besuchen, sie hat niemals geheiratet, und ich bin Witwe.
    Nimm es ruhig auf, wenn du willst. Warum fragst du eigentlich Iljâs al-Samaani, anstatt deine Mutter zu fragen? Was wird Iljâs al-Samaani dir denn schon auftischen außer Lügen? Du sagst, du triffst deine Freunde, seit wann hast du denn Freunde hier, in so kurzer Zeit? Sie haben mir erzählt, du hättest den Sohn von Salîm al-Âssi besucht, was willst du von ihm? Er ist krank, möge Gott ihn schützen, mein Sohn! Sein Vater ist aus Sorge über ihn gestorben, alle wissen das. Aber vorher sag mal, willst du nicht heiraten? Die Kinder aus dem Viertel haben dich im Computer gesehen, zusammen mit einem schönen blonden Mädchen. Stimmt das? Ist es eine Amerikanerin oder ein arabisches Mädchen? Hauptsache, sie ist schön – und Christin. Es heißt, in Amerika gibt’s keine Christen mehr. Warum lachst du? Sie ist mehr als christlich? Wie geht das denn? Ihr Vater ist Priester? Bei denen heiraten sogar die Priester? Warum frage ich dich eigentlich, ob sie Christin ist? Wo ist denn da der Unterschied? Wir alle sind doch Kinder Gottes. Ich mag keine Gebete, und ich mag keine Priester. Ich beichte bei keinem von denen, wenn ich beichten will, sage ich Gott meine Sünden direkt, und wenn ich sterbe, will ich einen fremden Priester. Auf jeden Fall, ich betrete keine Kirche mehr, nur wenn ich muss, ich bete hier, bei mir zu Hause.
    Ich möchte nur wissen, ob deine Freundin eine Mutter hat, die dort auf sie wartet, in ihrem amerikanischen Dorf, wie ich hier auf dich gewartet habe. Fährt sie nachts auch auf wie eine Verrückte? Rennt sie wie ich barfuß zur Tür, weil eine Stimme sie aus dem tiefsten Traum heraus gerufen und aufgefordert hat aufzustehen? Eine Stimme, die gesagt hat, dass ihre Tochter von ihrer langen Reise zurückgekehrt ist und dass sie halb verdurstet auf der Schwelle sitzt und darauf wartet, dass ihr jemand die Tür aufmacht. Öffnet ihre Mutter wie ich jede Nacht mit zitternder Hand die Tür, nur um niemanden vorzufinden und sich dann selbst im Dunkel der Nacht mit gebrochenem Herzen auf die Schwelle zu setzen und auf die kleinste Regung zu horchen, die vielleicht die Ankunft ihrer Tochter ankündigt? Läuft sie jede Nacht barfuß zur Tür, um sie zu öffnen, in der Hoffnung, dass die Stimme doch die Wahrheit sagt, ein einziges Mal nur, und sie dann ihre Tochter in den Armen hält, bis das Licht des Tages über sie beide hereinbricht? Hat deine Freundin in ihrem Land eine Mutter wie mich, die ihre Tochter ganze zwanzig Jahre lang nicht ein einziges Mal gesehen hat? Und die trotzdem ihren Tag damit beginnt, ihre Kleider zu küssen und an ihnen zu riechen! Deine Kleider, Elia, sehen wirklich drollig aus, und deine Schuhe sind ganz klein. Kocht sie ihr am Samstagnachmittag Birnenkompott, dem Tag, an dem sie während der ersten Schuljahre schulfrei hatte …, weil die Tochter nichts mag außer Birnenkompott. Sie kocht das Kompott, stellt es mitten auf den Tisch, schaut es an und wartet, und dann bietet sie es am Ende des Tages einem der armen Nachbarskinder an, weil die Tochter nicht gekommen ist! Und jeden Samstagnachmittag kocht sie es wieder. Ja, zehn Jahre lang habe ich für dich jeden Samstag Birnenkompott gekocht, weil ich Angst hatte, dass dir dort ein Unglück widerfährt und du nie wieder zu mir zurückkommen kannst, wenn ich es nur ein einziges Mal nicht tue …
    Keine Angst, Elia, ich werde nicht weinen, ich habe schon lange aufgehört zu weinen. Aber gib mir deine Hand, mein Sohn, gib mir deine Hand, damit ich Mut fasse, weiterzusprechen. Ich werde nicht

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