Morgen des Zorns
Erwähnung des Regens auskommt. Und wenn die erfahrene und kokette Journalistin in der französischsprachigen Zeitschrift »Magazin« meinte, dass der Regenschauer eine Warnung vor dem und eine Vorwegnahme auf das Geschehene war, dann scheint sie dies einer der Gottheiten der griechischen Mythologie zuzuschreiben, denn einige Zeugen versicherten, dass der Schauer umgehend nach den ersten Schüssen niederprasselte und nicht vorher. Für diese Zeitangabe führen sie als Erklärung an, dass der Herr des Regens die Kämpfenden auseinanderbringen und dem Morden ein Ende setzen wollte, während andere aus der Erkenntnis eine Lehre ziehen wollen, dass das vergossene Wasser – und einer von ihnen besteht darauf, dass der Schauer in Wirklichkeit aus in diesem Monat und überhaupt in allen Monaten höchst selten vorkommenden großen Hagelkörnern bestanden habe – lediglich Ausdruck von Gottes Groll gewesen sei über das, was sich in seinem Haus und in dessen Umgebung ereignet habe, auch wenn man sich kurz und gut mit dem Wort »Zorn« begnügen könne. Und Aline Lahûd stützte sich in ihrer metaphysischen Interpretation des Mordens, das den Parlamentswahlen um zwei Wochen vorausging und die Niederlage der Kandidaten der Opposition gegenüber den Anhängern des Präsidenten der Republik ankündigte, welcher eine Wiederwahl anstrebte und zur Erreichung dieses Ziels verschiedene Formen von Druck ausübte …, Aline Lahûd stützte sich auf den amerikanischen Schriftsteller Wilder: »Manche sagen, es gebe kein Wissen für uns, und wir seien den Göttern nichts anderes als Mücken, wie die Knaben sie haschen und töten an einem Sommertag; und manche wieder sagen, kein Sperling verliere ein Federchen, das ihm nicht hinweggestreift wurde von der Hand Gottes« … Ist das eine Einmischung in göttliche Fürsorge oder göttliche Unaufmerksamkeit? Beim Lesen von Aline Lahûds Reportage kann man sich das Blutbad in der Kirche als Bild im Stil der naiven Malerei vorstellen, in leuchtenden Farben und aus zwei Ebenen bestehend, die aufeinander schießenden Kämpfer in der Kirche von Burdsch al-Hawa und auf dem Vorplatz im unteren Teil, und über ihnen ein Gemenge aus Göttern und Engeln aus Hellas, während die Christen auf ihren kleinen blauen Wolken sitzen und gleichgültig oder hinterlistig lächeln, bevor sie die Kämpfenden mit dem Regen bewerfen, um sie zu trennen. Sogar die Anklageschrift zu dem Vorfall, die am 27. Juli 1957 auf sechzehn Seiten großformatigen Kanzleipapiers erschien, lässt dieses Paradox nicht aus, denn in der Einleitung heißt es: »Kaum ging es auf halb vier Uhr zu und kaum fiel ein Sprühregen vom Himmel, da setzte sich die Prozession vom Haus der Familie Abed in Richtung der etwa zweihundert Meter entfernten Kirche in Bewegung, vorneweg die Würdenträger und die Mönche und Nonnen. Wegen des einsetzenden Regens eilten einige Menschen durch das nördliche und das südliche Seitenportal in die Kirche, der Rest des Zugs aber betrat die Kirche durch das westliche Königsportal, das sich zum Dorfplatz öffnet. Und kaum drängte sich der Zug in die Kirche, da entstand ein Tumult unter den Anwesenden, während außerhalb der Kirche ein Schuss abgegeben wurde, der das Zeichen war und auch der Funke…« So widerstand der Untersuchungsrichter des Beiruter Appellationsgerichts nicht – er war der verantwortliche Ermittler in der Sache des Angriffs auf die innere Staatssicherheit, der sich am 16. Juni 1957 ereignete und »der die Tötung und die versuchte Tötung mehrerer Personen zur Folge hatte, sowie aller Fälle, die damit in Zusammenhang stehen oder sich daraus ergeben, und aller Personen, die daran beteiligt sind oder sich auf welche Weise auch immer eingemischt haben« – der Untersuchungsrichter des Beiruter Appellationsgerichts widerstand also nicht seinem Bedürfnis, den Regen zu erwähnen, auch wenn keinerlei Notwendigkeit bestand, in seinem Plädoyer darauf einzugehen, in dem er am Ende die Hinrichtung einer langen Liste von Männern forderte, von denen einige Zeugen dafür beibrachten, dass sie sich zu besagtem Zeitpunkt weit entfernt von dem Dorf aufgehalten hätten, in dem sich der Vorfall ereignete. Dieser offizielle Bericht, unterzeichnet von Herrn Adîb al-Aschkar, war das einzig verbliebene Schriftstück über den Vorfall, nachdem alle Beteiligten unter eine Generalamnestie gefallen waren, die die Justiz von der äußerst schwierigen Aufgabe befreite, die Fakten zu rekonstruieren. Und dieser Herr
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