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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Douaihy
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deren sie sich nur allzu bewusst war, zu entblößen, hatte sie ein strenges graues Kleid gewählt. Eine halbe Trauerkleidung, wie man sagte, als Zeichen des Respekts vor den Toten. Aber gemäß ihrer Gewohnheit hatte sie, noch bevor sie den Artikel überhaupt geschrieben hatte und noch bevor sie am Schauplatz angekommen war, die Überschrift ihres Artikels gewählt: »Die Götter schauten weg«. Immer wieder brachte sie Fuâd Haddâd die Überschrift in verschiedenen Tonlagen zu Gehör, bis sie sich endgültig für die Schlagzeile entschied, und dann einen Beitrag zu schreiben begann, der dazu passte. Sie garnierte ihre lange Reportage mit einem Foto, dessen Herkunft unklar war. Später hieß es, dieses Foto habe den für den Vorfall zuständigen Ermittler verwirrt und seine Aufmerksamkeit tatsächlich auf die Anwesenheit von Fotografen auf diesem Leichenzug gelenkt, von deren Aussage man profitieren könne … sowie von deren Fotos. Der Name einer der Fotografen war sogar auf der Liste der Verletzten aufgetaucht: »Nischân Hovseb Davidijân«. Auf dem Foto sind fünf junge Männer zu sehen, die sehnsuchtsvoll in die Kamera blicken. Glücklich über ihr Beisammensein, drängen sie sich aneinander, damit alle aufs Bild passen. Unter das Foto schrieb Aline Lahûd folgenden Kommentar: »Das letzte Foto. Diese fünf Männer werden einige wenige Minuten später den Tod finden. Die Kugeln des Verrats werden sie hinwegmähen, sobald sie sich nach der Aufnahme voneinander lösen.« Es war ein leichtes gewesen, herauszufinden, dass der junge Mann mit der Brille ganz rechts, der einzige unter ihnen mit Reifezeugnis und einer Neigung zum Journalismus, unversehrt geblieben war. Er war bei dem Schusswechsel nicht getroffen worden, doch im Allgemeinen vermittelt man bei dieser Art von Nachrichten gerne ein vollkommenes Bild, so dass die Ausnahme, die den großen Druck auf den Seelen der Leser erleichtern könnte, vernachlässigt wird. Fuâd Haddâd hatte noch weitere Fotos von der Hauptstraße in Barka aufgenommen, die bis auf eine schwarz gekleidete Frau, welche eine Mauer entlangschleicht, zur Mittagszeit vollkommen verlassen ist. Aline Lahûd schrieb, sie habe zuerst dem Schweigen in dem von Trauer erfüllten Ort gelauscht (sic), dem Schweigen der Männer und dem Schweigen der Dinge, und es klinge, also das Schweigen, wie sie hinzufügte, wie ein bis zum Äußersten gespannter Bogen. Vom Schweigen, das ganze vierzehn Mal in ihrem Artikel vorkommt, ging sie unvermittelt über zu den Blicken. Dies ist ein für solche Fälle erwartbares Stilmittel, da Blicke preisgeben, was gelähmte Zungen nicht aussprechen: trockene Augen, von Tränen verbrannt, die nicht mehr fließen und die sich argwöhnisch durch die Fensterscheiben hindurch beäugen und die böse hinter den an Stahltassen erinnernden Helmen der Soldaten vorbeilugen, die an jeder Ecke postiert sind. Sie unternimmt auch einen Schlenker nach Korsika und Sizilien, um festzustellen, dass die besonderen Dolche für die Blutrache, die wie Munition neben den Bildern der Heiligen hingen, aus ihren Scheiden geholt worden waren und auf den geeigneten Augenblick warteten, zuzuschlagen. Wir sind bei den letzten Vorbereitungen für den zweiten Akt der Tragödie. Nur noch drei Schläge, bis das Öffnen des Vorhangs angekündigt wird. Doch wer schlägt sie? Dann bestätigt die elegant gekleidete und sich vornehm gebärdende Journalistin in einem weit verbreiteten Klischee das mediterrane, poetische, von Brutalität gekennzeichnete Klima, indem sie beschreibt, dass die Türen genauso fest verschlossen sind wie die Herzen, während der Schmerz die Maske des Hasses trägt und sich der Duft der Frühlingsblüte mit den Ausdünstungen des Zorns vermengt … Und um die Liste der Elemente des verdichteten Epos zu vervollständigen, schreibt sie, dass die Sonne brennt und der Himmel nichts mehr ausrichten kann …, nachdem er in Burdsch al-Hawa versucht hatte, die Tragödie durch heftige, für Mitte Juni völlig unerwartete Regengüsse zu verhindern, um schließlich hinzuzufügen, dass der Geruch der Erde, der unweigerlich nach der langen Trockenheit aufstieg, jene Männer nicht daran hinderte, ihre Rechnungen zu begleichen, denn es war nicht die Zeit dafür, das Odeur des Lebens einzusaugen, sondern tollkühn auf den Abgrund loszustürmen. Keine Zeile von Aline Lahûds Artikel entbehrt der poetischen Kunstfertigkeit, genauso wie kein Bericht über das Geschehen von Burdsch al-Hawa ohne die

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