Morgen des Zorns
wurde; und sie hängten schwarze Wimpel auf, wenn einer der Männer das Zeitliche gesegnet hatte, selbst wenn er als alter Mann in seinem Bett gestorben war. Sie betrauerten ihn, als hätte ihn sein Geschick auf dem Rücken seines Pferdes ereilt, genau wie sein älterer Onkel, der bis in alle Ewigkeit auf dem bronzenen Reittier steht; und sie dichteten für ihn:
Du Rotfuchs mit den Muttermalen,
behaupte nicht, dein Reiter starb,
dein Reiter ging nach Beirut,
dort wird er kaufen ein Geschenk
zum Stützen seiner Füße.
Mit der »Veränderung der Staaten« lockerte sich der Zusammenhalt, zumal die anderen, die durch »Blutsbande« miteinander verwandt waren, wie sie sagten – von denen einige erwiesen, andere nur eingebildet waren –, sich plötzlich auf sich selbst besannen. Sie erinnerten sich daran, dass sie von einem Urahn abstammten, und wurden sich als erstes ihrer Namen bewusst. Und sie stellten plötzlich fest, dass ihrer viele waren, dass sie sich aber – bedauerlicherweise – auf diese oder jene einflussreichen Familien oder Besitzer großer Häuser aufgeteilt hatten. Und so entdeckten sie mit einem Mal, dass es in ihrer Macht stände, aus ihren eigenen Reihen einen Abgeordneten ins Parlament zu schicken, zuerst, als das französische Mandat ein zweistufiges Wahlgesetz eingeführt hatte, und später dann bei der allgemeinen Abstimmung, als den Ländern des Nahen Ostens nach und nach die Demokratie eingetrichtert werden sollte.
Nun wurden sie von einem Fieber gepackt. Vor wenigen Jahren hatte das Generaldirektorat der Angelegenheiten des Inneren sie schon einmal aufgefordert, zum Palast der alten Ortschaft zu kommen – den sie in unvergleichlicher Solidarität in dem Wunsch errichtet hatten, ihre Ortschaft zum Zentrum der Provinz zu machen – und auch ja keinen Menschen zu vergessen, der in ihrer Obhut stand. Eingeschüchtert von den massiven Drohungen, dass jene, die ihre Namen nicht registrieren ließen, ab sofort die libanesische Staatsangehörigkeit verlören, befolgten sie die Aufforderung in Scharen. Sie nannten ihre Namen, wie sie sie vom Vater auf den Sohn geerbt hatten und wie der Priester sie am Tag der Taufe, der Eheschließung oder der letzten Stunde in die Kirchenverzeichnisse eingetragen hatte. Zum Beispiel: »Donnerstagnacht, den 14. Juli 1930 um halb drei Uhr, verschied Butros Antânios Khattâr plötzlich und unerwartet, nachdem er die obligatorische Absolution durch Pater Iljâs al-Mardîni empfangen hatte.« Jetzt aber bestanden sie darauf, dass ihre Namen vollständig geschrieben würden. Butros Antânios Khattâr al-Râmi. Als beginge man durch die Nichtbeachtung des Familiennamens plötzlich eine unentschuldbare Sünde gegen sie, als handelte es sich um die Missachtung ihrer Würde und die Auslöschung einer alten Abstammung, die sie gerade erst entdeckt hatten.
Es war in den vierziger Jahren, dass sie sich auf ihre Namen besannen, genauer gesagt, Mitte der vierziger Jahre. Sie gingen wieder zum Regierungspalast, um den Richter darum zu ersuchen, ihre Namen zu korrigieren und Bestandeile, welche versehentlich weggefallen waren, wieder hinzuzufügen. Der Richter war ihrer jedoch so überdrüssig, dass er den einäugigen Ausrufer damit beauftragte, durch die Viertel zu ziehen, sich an den Straßenkreuzungen aufzustellen und sie laut und vernehmlich darüber zu informieren, dass die Sitzungen zur Namensänderung jeweils nur an den Dienstagen einer jeden Woche einberufen würden. Sie kannten die notwendigen Schritte, sie hatten es noch nicht einmal nötig, einen Rechtsanwalt zu beauftragen. Sie mussten lediglich den Antrag stellen, zwei Zeugen beibringen und einige Fragen beantworten. Der Schreiber im Einwohnermeldeamt und der Kaffeeverkäufer an der Tür zum Palast stellten sich allen als Zeuge zur Verfügung. Der Richter indes fragte wutentbrannt in Anwesenheit seines Schreibers, was plötzlich in sie gefahren sei, dass sie sich jetzt ihrer Verwandtschaftsbande bewusst würden, die ihnen über Generationen nur dann etwas bedeutet hätten, wenn es um die Teilung von Grundstücken ging, um Erbschaftsangelegenheiten und -streitereien.
So häufig mussten die Angestellten des Einwohnermeldeamts die Registerbücher auf Armeslänge aufschlagen, um Namen zu korrigieren und zu vervollständigen, um Verstorbene sowie verheiratete Mädchen, die in andere Dörfer umgezogen waren, zu streichen, und Neugeborene einzutragen, dass die Ränder der großen Hefte verschlissen waren und einige
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