Morgen des Zorns
Konstantinopel verliehen, ein Brauch, der auf einen von Seiner Hoheit Sultan Abd al-Hamîd unterzeichneten Erlass zurückgeht. Dieser Ferman wird in einer verschlossenen Schublade aufbewahrt – zusammen mit Nachweisen über den Grundbesitz, den man sich – so wird bisweilen getuschelt – unrechtmäßig angeeignet habe oder in dessen Besitz man infolge einer nicht beglichenen Hypothek gelangt sei, auch wenn ein Teil davon in einem Augenblick der Schwäche oder nach der Heilung von einer unheilbaren Krankheit wieder in das Vermögen der maronitischen Kirche übergegangen ist.
Am Kopf des Salons hängt ein Ölgemälde des Ahnen und Gründers des Hauses mit weichen Gesichtszügen, der eher wie ein Händler in den Küstenstädten gekleidet ist denn wie ein Ritter. Auf beiden Seiten des großen Gemäldes befinden sich Fotografien von Damen mit modischen Hüten, Tennis spielend, eine Neuerung, die die Damen gleich nach Ankunft in diesem Land hier eingeführt haben. Auch die Familiengeschichte mit dem Stammbaum hängt an der Wand, der in eine unfassbar weit zurückliegende Vergangenheit zurückreicht. Kaum zu glauben, dass diese Familie tatsächlich so alt und von so hohem Stand ist. Dies alles zu sammeln und zu prüfen, hat sich ein maronitischer Mönch, ein Freund der Familie, die Mühe gemacht.
Ein großes Haus bedeutet auch ausgedehnte Ländereien, eine Tenne für den Weizen, eine Olivenpresse, eine ausländische Gouvernante für die Kinder und manchmal auch eine Kapelle, in der sonntags mit Freunden die Messe gefeiert und in der man bestattet wird. Dazu schöne Ehefrauen, oder Ehefrauen, die weniger schön sind, die aber immer aus anderen wohlhabenden, nicht weniger bedeutenden und vornehmen Familien aus dem Libanongebirge stammen – in weiser Voraussicht, dass eines Tages unweigerlich mit den Brüdern der Ehefrauen ein Konflikt über die Teilung des Erbes und den Wunsch des »Hauses«, die Mädchen auszuschließen, ausbrechen wird, um den Besitz auf die Männer zu beschränken.
Das Haus wird auch von Besuchern aufgesucht, die kein Arabisch sprechen, da auf jeden Fall einer der Söhne der Familie als Dragoman beim französischen Konsul in Beirut arbeitet, wo er seinen Bekanntenkreis vergrößert. Vielleicht setzte auch der älteste Sohn ein Studium fort, welches er in Aintûra bei dem lazaritischen Pater Sarloutte nicht zu Ende gebracht hatte. Stattdessen hatte der ihn dem französischen Hochkommissar empfohlen, so dass dieser ihn als Abgeordneten im Rahmen der Quote entsandte, die der Mandatsmacht im neugebildeten Parlament zustand, oder sogar als Minister für Erziehung in einer Regierung, die nicht länger als zwei Monate überlebte. Sein Vater war als Gemeindedirektor eingesetzt worden, und dies genau in jener Zeit, in der Pashko Vasa, der Gouverneur des Mont Liban, eine Schwäche gegenüber Geschenken und Einladungen zu Festmahlen an den Tag gelegt hatte, die mit koketten schönen Frauen verfeinert waren.
Die Bewohner des »Hauses« lieben die Masse nicht. Wenn ein anderer der Söhne ihrer Onkel ihren Namen trägt, denken sie sich einen spöttischen Spitznamen für ihn aus und versuchen ihm diesen unwiederbringlich anzuhängen. Nur sie sollen den puren, nicht entstellten Namen tragen – ein Beweis für ihre edle Abstammung und ihre alleinige Rechtmäßigkeit darauf. Und wenn sich jemand neben ihnen aufstellt, der eine verwandtschaftliche Bindung mit ihnen vorgibt, um Beileidsbekundungen für einen Verstorbenen entgegenzunehmen, so wird dies von dem Notabeln nicht geduldet. Stattdessen fordert er die nicht anerkannten Söhne seines Onkels aus dem einfachen Volk lauthals auf, sich zu entfernen, denn rechts des Kirchportals dürfen nur »ich und mein Bruder und der Sohn meines Bruders« stehen, und dies in einem ihnen fremden Dialekt, von dem man nicht weiß, wo der »Älteste« des Hauses sich ihn angeeignet hat; vielleicht täuscht er ihn ja auch nur vor, um sich von ihnen zu unterscheiden. Die Tatsache, dass sie der Vielzahl gegenüber abgeneigt sind und Besitz und Einfluss auf die wenigen Erben beschränken wollen, lässt sie bei der Vermehrung geizen, so dass diese »großen Häuser« stets von »Schließung« bedroht sind, wie es heißt.
Das Symbol des großen Hauses, die hervorragende Persönlichkeit, besteigt sein glänzendes, vom Bildhauer Jûssef Howayek entworfenes Bronzepferd. Am Tag der Enthüllung der Statue versammelte sich die Elite der Poeten und Dialektdichter aus allen Winkeln des Libanon.
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