Morgen des Zorns
ihren Ehemann Sch. S., 54 Jahre, er versuche durch einen Trick eine zweite Ehe zu schließen, was im Widerspruch zum Personenstandsrecht für Nichtmuslime stehe. Und tatsächlich konnten Mitarbeiter der Polizei den Angeklagten Sch. S. auf frischer Tat im weit entfernten Dorf Abra stellen. Er hatte einen Priester dazu überredet, ihn mit der fünfzehn Jahre jüngeren T. F. zu trauen. Als die Polizisten vor Ort eintrafen, versuchte der Verdächtige zu fliehen, stolperte dabei jedoch über das Kleid der Braut und stürzte, so dass er festgenommen werden konnte.
(Telegraph, 10. Oktober 1959)
Niemand wusste, wie er seine fortwährende Aushäusigkeit hatte rechtfertigen und seine Frau davon überzeugen können, dass er einem einträglichen Broterwerb nachgehe. Wer die Frau jedoch kannte – sie war hartnäckig und gescheit –, sagte, dass ihr nichts von den wahren Unternehmungen ihres Gatten verborgen blieb. In Wirklichkeit liebte sie ihn und befürwortete aus Angst um sein Leben, dass er sich vom Dorf fernhielt, auch wenn die Leute der einstimmigen Meinung waren, sie sei naiv und mache sich allzu leicht zum Gespött. Schafîk betrog seine Frau, und sie duldete es. Sie freute sich, wenn er zurückkehrte, und sie erleichterte ihm den erneuten Aufbruch. Sie wusch seine Kleider und gab ihm zu essen. Ja, manch einer behauptete gar, sie sei sogar ein wenig stolz über seinen Erfolg bei den Frauen, und wenn eine ihr an der Tür zur Samîh-Bäckerei flüsternd den Rat erteilte, sie möge besser auf ihren Mann aufpassen, dann legte sich unzweifelhaft ein Lächeln der Zufriedenheit auf ihre Miene. Sie erkundigte sich in allen Einzelheiten nach seinen Abenteuern, wollte alles wissen, die Namen, die Orte, wie schön die Geliebte war, doch tat sie dies niemals in Form einer Konfrontation. Ihr war vor allem wichtig, dass er nicht den Weg seines Bruders Farîd einschlug. Farîd Badawi Samaani, die »grüne Pflaume«, Farîd, der bei jedem schmutzigen Geschäft mitmischte. Sie konnte es selbst kaum glauben, dass die beiden Brüder waren. Nur dann, wenn sie das Gesicht ihres Mannes betrachtete und das Muttermal auf seiner linken Wange sah. An der gleichen Stelle wie bei Farîd. Schafîk war ein Lebemann, er liebte die Frauen und hatte den kürzesten Weg in ihre Herzen gefunden: die Freude und das Lachen. Und er liebte die »Sitzungen«, wie er es nannte. Dabei legte er eine unermüdliche Leidenschaft an den Tag, die gleiche Szenerie zu wiederholen, wann immer ihm dies möglich war: ein Tisch in einem Restaurant auf dem Land oder mit Blick auf einen Fluss oder das Meer, reich gedeckt mit farbenprächtigen Vorspeisen. Die Augen essen mit, beliebte er kurz und knapp zu sagen, während er die aufgereihten Teller mit den appetitlichen Speisen betrachtete, die der Geladenen harrten, einer Gruppe von Freunden, von denen nie auch nur einer aus Barka stammte. Er pflegte schon vor ihnen im Restaurant einzutreffen, um dem Festmahl eine persönliche Note zu verleihen. Er wählte seine Freunde aus einem großen Umkreis aus, Leute, von denen er wusste, dass sie seine Geschichten nicht dort weitertratschen würden, wohin diese nicht gelangen sollten. Die jeweilige Gruppe war jedoch erst vollständig, wenn sich auch die Frauen eingefunden hatten. Meist waren es weniger als die um den Tisch gescharten Männer, seltsame Frauen mit loser Zunge, die Wasserpfeife pafften und Arrak tranken, unzweifelhaft von niederer Abstammung, und nur er wusste sie aus ihren Löchern zu locken. Im Allgemeinen legte er Wert darauf, einen Lautenspieler mit schöner Stimme mitzubringen. Er ermunterte ihn nicht gleich, seine Stimme zu erheben, sondern wartete, bis der Alkohol ein wenig sein Spiel in den Köpfen zu treiben begonnen hatte, dann nahm er die Laute aus der Stoffhülle und überreichte sie ihm, auf dass das Fest beginnen möge. Faktisch verbrachte er, trotz der Anwesenheit der Kellner im Restaurant, die Hälfte der Zeit im Stehen, denn er konnte sich einfach nicht erwehren, seine Freunde eigenhändig zu bedienen. Das war sein Ideal, sein Modell, an dem er pausenlos arbeitete, um es täglich aufs Neue zu erschaffen. Jede seiner vormittäglichen und nachmittäglichen Gesten, jede seiner alltäglichen Aktivitäten konnte man kurz und bündig mit den Worten fassen, »er richtet für das Abendessen den Tisch«. Er selbst nahm dann jedoch kaum etwas zu sich, vielmehr genoss er es, den anderen beim Essen zuzusehen. Die Speisen waren eine Augenweide, der Anblick der auf
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