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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Douaihy
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er sich vor Haarausfall und einer möglichen Glatze. Unermüdlich reiste er durch die große weite Welt. Dies füllte die Seiten von drei Reisepässen, die er aufbewahrte, zusammenschnürte und in aller Öffentlichkeit vorzeigte, einen Stempel nach dem anderen, von Costa Rica bis Äquatorialguinea. Manchmal kehrte er mit gebrochenen Flügeln ins Dorf zurück, gänzlich abgebrannt; wenn er dann seine Taschen nach außen stülpte, fiel keine einzige Münze heraus. Er schlief bei einem Verwandten, der ihn widerstrebend ertrug. Aber schon bald war er wieder verschwunden, denn es fielen Sätze, die ihm nicht behagten: »Die Luft ist nicht sauber hier am Ort« oder »Gott schütze uns vor diesen beiden Tagen« … Dann wusste er, dass die Geschichten von Mord und Totschlag wieder losgehen würden. Sie haben das Töten mit der Muttermilch aufgesogen, sagte er mit einem Hauch von Mitleid und reiste wieder ab. Er hatte einen neuen Plan, ein neues Ziel. Als rieche er das Geld von weitem. Sobald dieses bei seinen Freunden zu fließen begann, erfuhr er davon. Ihm kam zu Ohren, wer beim Glücksspiel gewonnen oder erfolgreich einen Handel über Weizen oder Kleidung geschlossen hatte. Dann tauchte er bei dem Begünstigten auf, solange das Geld noch frisch war. Ganz plötzlich stand er da, mit seinen Geschichten und seinen Witzen.
    – Hast du es wieder gerochen?, fragten sie ihn lachend.
    Er forderte nichts, aber er bekam etwas. Er kannte die libanesischen Fremdenkolonien wie seine Westentasche, natürlich bevorzugte er die Wohlhabenden, wenn sie noch jung waren, und die Glücksspieler, wenn sie sich im fortgeschrittenen Alter befanden. Er hoffte auf die Großzügigkeit der jungen Reichen, die hinter Frauen her waren, und auf die Dummheit der Glücksspieler, aber er verbrachte fast sein ganzes Leben damit, von den Reichen als Gegenwert für Charme und Damenbegleitung etwas zu bekommen, das er wiederum den Glücksspielern als Gegenwert für jenen geheimnisvollen Genuss, den sie ihm gewährten, zukommen ließ. Den Genuss des Verlierens. Manchmal aber geschah es, dass er in der Fremde plötzlich »abgebrannt« war. Nach einer finsteren Nacht, in der er nicht hatte aufhören können zu trinken und in Begleitung einer Brünetten, die sogar den Teufel verführt hätte, in Santo Domingo oder in Havanna auf den Tischen zu tanzen, waren seine finanziellen Mittel ganz plötzlich aufgebraucht. Er war dort erfolglos hinter einer Tante her gewesen, über die man ihm erzählt hatte, sie sei auf ihrem Weg in die Vereinigten Staaten irrtümlich auf die Insel gelangt. Dann sei sie dort geblieben und habe durch den Anbau von Tabak ein großes Vermögen erwirtschaftet. Er ließ keine List aus. Er stieg zum Beispiel am Flughafen Lima aus dem Flieger, verlangte das Telefonbuch und suchte unter dem Buchstaben K nach der Familie Khoury. Er wollte sich nur vergewissern, dass die Familie Khoury auf der ganzen Welt vertreten war. Dann rief er sie ohne zu zögern an und meldete sich mit einem Namen, der ihm ungewöhnlich erschien. In einem kurzen Gespräch erzählte er, dass er gezwungen gewesen sei, sein Dorf wegen der dortigen blutigen Ereignisse in aller Eile zu verlassen, dass bei dem Vorfall von Burdsch al-Hawa Verwandte von ihm getötet worden seien, dass überall die Blutrache praktiziert werde und dass er in die Hauptstadt von Peru geflüchtet sei und nicht wisse, was er nun tun solle. Allerdings wusste er nur allzu gut, was er tun sollte, denn er betörte sie mit seinen Worten und seinen Geschichten. Aber sobald er wieder ein wenig zu sich gekommen war, kam ihm das Pokerspiel erneut in den Sinn. Niemand wusste, wie er den Weg zu den Libanesen auf der anderen Seite des Atlantiks fand, die ebenfalls nicht von ihrem Spielleiden genasen. Er wetteiferte mit ihnen beim Tequilatrinken, bei den Betrugsversuchen und der Täuschung des Gegners, bis das Glück ihm eines Nachts hold war und er das ganze Geld vom Tisch einheimste. Das erboste einen von ihnen, der aus einem Dorf unweit von Barka stammte. Nachdem er sein ganzes Geld verloren hatte, förderte er libanesische Besitzurkunden zutage und forderte dafür Geld. Der Reisende prüfte sie kurz, und nachdem er festgestellt hatte, dass es sich um ein sehr großes Grundstück handelte, gab er dem Verlierer, was er für einen geringen Teil des Grundstückspreises hielt. Er bewahrte die Unterlagen in seinem Kleiderkoffer auf und hätte sie beinahe vergessen – bis die Tage ihn ein weiteres Mal niederwarfen. Da

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