Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Douaihy
Vom Netzwerk:
der Übergabe bestand er aber stets darauf, sich noch einmal über sein langläufiges Gewehr zu beugen, um ein letztes Mal in Richtung der gegenüberliegenden Barrikade zu zielen. Nur einmal zielen, wie es seine langweilige Eigenart war. Dann nahm er sein Gewehr und seinen Korbstuhl, auf den er stets ein Kissen zu legen pflegte, um seine Hose nicht zu beschmutzen, und machte sich davon. Er setzte sich übrigens niemals hin, ohne vorher den Staub, der sich auf dem Stuhl gesammelt hatte, abzuklopfen.
    So hielt er es an der Barrikade und zu Hause und im Kaffeehaus. Er bestand darauf, dass sein Gewehr gereinigt war, achtete auf die Falte seiner Hose und auf den Kragen seines blütenweißen Hemdes. Im Kaffeehaus schickte er den Kellner in die Küche zurück, wenn er argwöhnte, auf dem Wasserglas könne sich ein kleiner Fleck befinden oder der Kaffeetasse ein Geruch von Spülmittel anhängen, den nur Spürnasen wie er wahrnehmen konnten. Bei der Übergabe der Barrikade an seinen Bruder machte Muhsin nicht viele Worte. Wenn wir uns der Anweisung widersetzten, frühzeitig nach Hause zu kommen, sahen wir manchmal zufällig, wie Halîm an der Barrikade eintraf und die Brüder kein einziges Wort miteinander wechselten. Vielleicht gaben sie ein schwaches Brummen von sich, aber das drang nicht bis an unsere Ohren. Auch teilten sie nichts, Muhsin nahm seinen Stuhl und sein Gewehr und ging, ohne sich auch nur ein einziges Mal umzusehen.
    Sauber herausgeputzt und im Sitzen, so kämpft der Muhsin.
    Hinter den Barrikaden wurde im Allgemeinen im Stehen gekämpft. Auch wenn das Stehen für einen anderen Kämpfer auf unserer Seite eher ungeeignet war. Abu Baschîr, den Gott mit einem kurzen und einem langen Bein erschaffen hatte, fiel es schwer, aufrecht zu stehen und gleichzeitig mit seiner Waffe zu zielen. Man erzählte sich, eines Tages habe er ganz unvermittelt seine Gefährten beschworen und gelobt:
    – Bringt mir einen Stuhl, dann könnt ihr euch die Toten nur so abholen!
    Seine Gefährten hinter der Barrikade amüsierten sich noch lange über diesen Satz, während die Kugeln auf sie niederprasselten.
    Muhsin kämpfte aus einem Grund im Sitzen, den anfangs niemand verstand. Auch wussten wir damals natürlich nicht viel von dem, was vor sich ging. Jahre später lasen wir in einer alten Zeitung die Erklärung eines amerikanischen Verantwortlichen, in der es ungefähr hieß, dass alle Unterstützer des »Bagdadpakts« für die Freiheit im Nahen Osten gekämpft hatten und zu den Helden der Standhaftigkeit gegen den Kommunismus gehörten. Zu ihnen zählten auch die Kämpfer unseres Dorfes, die auf Seiten der Regierung standen, also genau jene Leute aus dem Unteren Viertel, die mit den Kugeln aus den Gewehren mit den langen Läufen geizten, welche ihnen die Regierung auf dem Rücken von Mauleseln hatte zukommen lassen. Und zu ihnen gehörte auch Muhsin hinter seinem Mühlstein.
    Im Grunde waren wir einfach froh über unsere Freiheit. Nachdem der Direktor das Schultor mit einer Eisenkette verschlossen und sich gleich nach Ausbruch der Gewalt in sein weit entferntes Dorf im Distrikt Batrûn zurückgezogen hatte, streunten wir durch die Gassen. Der Schulvorsteher hatte nicht bei uns bleiben können, weil er ein Gründungsmitglied der Sozialistischen Partei war. Ein christlicher Sozialist! Er hatte so viele Bücher über den Sozialismus gelesen, dass sein Verstand davon kaputtgegangen und er nun tatsächlich vom Sozialismus überzeugt war, sagte der Hausmeister der Schule zu uns, dem alle Finger der linken Hand fehlten. Wir hatten die Schule nie gemocht. Schläge auf die Hände mit der harten Kante des Holzlineals, beißende Kälte und die französische Sprache. Vergeblich versuchten wir, die Aussprache wenigstens annähernd zu bewältigen und beim Diktat nicht in die unzähligen Fallen zu tappen.
    Wir stellten dem Hausmeister nach. Er spielte Karten. Mit seinen eineinhalb Händen hielt er sie auf eine ganz seltsame Art. Er spielte lieber Karten, als nachts bei den Barrikaden Wache zu schieben. Wir versicherten uns, dass er, Beschimpfungen und Zigarettenqualm ausstoßend, in sein Spiel versunken war, dann kletterten wir über die Schultern unserer Kameraden geschickt auf die Mauer und sprangen in den Hof. Mit Hilfe aller Kreidestückchen, die wir finden konnten, kritzelten wir Abscheulichkeiten an die Wände. Wir aßen die eingeweckten Rüben, die der Hausmeister in seinem Büro vergessen hatte. Er hatte sie von zu Hause mitgebracht, um

Weitere Kostenlose Bücher