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Morgen früh, wenn Gott will

Morgen früh, wenn Gott will

Titel: Morgen früh, wenn Gott will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Seeber
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nicht ganz.

Kapitel 19
     
    Ich stand unter der Dusche. Das Wasser war so eiskalt, dass es mir fast den Atem verschlug. Es war so kalt, dass mir die Zähne schmerzten. Überall hatte ich Abschürfungen und blaue Flecken. An der Stirn hatte ich eine Platzwunde, wo ich aufs Pflaster aufgeschlagen war. Beim Sturz im Laden hatte ich mir zudem Schnittwunden an den Beinen zugezogen. Ich fühlte mich von oben bis unten schmutzig, überall, wo der Mann mich angefasst hatte. Doch der körperliche Schmerz war gering im Vergleich zu meiner ungeheuren Sehnsucht. Ich sehnte mich verzweifelt nach Trost, auch wenn ich nicht wusste, was mich trösten würde. Ich wollte mein Baby im Arm halten, mein dickes, knuddeliges Baby. Konnte mir nicht einfach jemand den Arm um die Schultern legen und mir Louis zurückgeben? Mir sagen, dass jetzt alles in Ordnung sei. Aber natürlich war nichts in Ordnung, überhaupt nichts.
    Meine Welt flog mir gerade um die Ohren. Ich nahm wieder mal eine Tablette. Es war mir egal. Wenn es sein musste, würde ich Unmengen davon schlucken. Dann ging ich zu Bett. Shirl legte sich neben mich. Ich konnte nicht mehr alleine sein, nicht jetzt, eigentlich überhaupt nicht mehr. Und so hielt sie meine Hand und versprach, dass alles gut werden würde – aber ich glaubte ihr nicht mehr.
    Als ich am Wegdämmern war, schlich Deb auf Zehenspitzen herein und sagte, man habe den General und meinen Bruder verhaftet. Meinen verzweifelten kleinen Bruder, an den ich nicht mehr herankam. Meinen Bruder mit den leeren Augen, der mir nicht geholfen hatte, als ich ihn brauchte – doch bevor ich wieder anfangen konnte zu weinen, fiel ich in Schlaf.
    Am Morgen stand ich früh auf und schlich aus dem Zimmer. Shirl rollte sich auf den warmen Fleck in meinem Bett und schnarchte sanft. Ich öffnete die Hintertür und hörte die Vögel singen. Wie hohl doch ihr sonst so hoffnungsfroh tönender Gesang heute schien. Ich machte den Kaffee so stark, dass er wie Öl in die Tasse lief. Dann schaufelte ich löffelweise Zucker hinein. Schließlich setzte ich mich ins Wohnzimmer und legte ein paar DVDs mit Aufnahmen von Louis ein. Sie waren kurz nach seiner Geburt entstanden. Mit dem Finger zog ich sein Gesichtchen am Bildschirm nach und seufzte, bis meine geschwollenen Augen sich wieder mit Tränen füllten.
    Ich dachte daran, wie ich mich gefühlt hatte, als er auf die Welt kam. Als spielte ich Mama, und Louis sei meine Puppe »mit echten Tränen«, mit der ich üben konnte. Mir fiel ein, wie lange ich gebraucht hatte, um ihn zu verstehen, wie viel Angst ich gehabt hatte. Wie Mickey wochenlang nur vor ihm saß und ihn anstarrte. »Ich möchte nichts anderes als ihn beschützen«, sagte er. Ich aber hatte einfach nur Panik. Anfangs verstand ich das nicht. Ich wandte mich von ihm ab, einfach weil ich so tief erschrocken war. Ich dachte an meine Eltern, die mir so wenig geholfen hatten, und starb beinahe vor Angst, dass ich wie sie sein könnte, dass ich es nicht schaffen würde, dass ich das Muttergen einfach nicht besaß. Ich dachte an den Tag, als Mickey nicht mehr da war. Als ich zum ersten Mal allein mit meinem Sohn war. Den Tag, an dem Louis aufsah und mich anblickte, mich anstarrte und gurrte. Unwillkürlich sah ich hinter mich, aber da war niemand. An jenem Tag begann mein Herz aufzutauen. Heute musste ich darüber lächeln.
    Schließlich schaltete ich den Fernseher aus und holte mir noch einen Kaffee. Deb kam gähnend an. Sie sah meine geröteten Augen, sagte aber nichts. In einträchtigem Schweigen saßen wir am Küchentisch und aßen Toast, obwohl mein Mund vom Ring des Generals immer noch geschwollen war. Ich fragte mich, was ich wohl am besten als Nächstes tun sollte. Und dann läutete Debs Telefon. Es war Silver, der mich sprechen wollte. Er sagte mir, dass er Robbie frei lassen müsse, da er keine Straftat begangen habe. Insgeheim war ich darüber erleichtert. Ich wusste, dass mein Bruder keine Bedrohung darstellte, sondern wieder einmal nur Mist gebaut hatte. Doch am meisten erleichtert war ich über die Tatsache, dass sie den Bastard weiter in Haft behielten. Dann räusperte Silver sich und meinte, er würde heute nach Sussex fahren.
    »Lassen Sie mich mitkommen«, bettelte ich.
    »Nein.«
    »Verzeihung, Silver, aber darüber gibt es keine Diskussionen. Wenn Sie mich nicht mitnehmen, fahre ich Ihnen nach.« Genau das würde ich tun. Und er wusste das. So stimmte er schließlich zu. Ich reichte Deb das Telefon wieder.
    »Gut,

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