Morgen früh, wenn Gott will
Kindchen«, hörte ich ihn sagen.
Ich starrte aus dem Fenster und versuchte, nicht zuzuhören. Außerdem versuchte ich, nicht allzu neidisch zu sein, als ich hörte, wie er die andere Frau tröstete.
»Nächstes Wochenende sehen wir uns. Versprochen. Und wenn ich es nicht schaffe, bringe ich Mama dazu, dich zu holen, in Ordnung? Ja, natürlich wird sie das tun. Ganz bestimmt sogar, wenn ich sie frage, Molly. Nein, Kindchen. Ich verspreche es dir: kein Streit mehr. Was? Wieso?« Sein Gesicht verfinsterte sich, als er seiner Tochter zuhörte. Ich schämte mich wegen des Neides, den ich noch vor einigen Minuten empfunden hatte.
»Aber er hat doch nichts Schlimmes gesagt, oder? Na dann. Sieh mal, ich weiß ja, dass du ihn nicht sonderlich magst, aber du wirst dich an ihn gewöhnen.« Er atmete tief durch. Seine Wange begann zu zucken. Offensichtlich ein Tick. Ich starrte auf meine Hände. »Doch, das wirst du. So schlimm ist er gar nicht, oder, Moll? Hat er dir nicht dieses hübsche Buch über die Tänzerin gekauft?«
Er nahm das Telefon in die andere Hand, während er sanft die Kurve nahm. »Ich liebe dich auch, mein Schnuckel. Natürlich kannst du bleiben. Ich habe die Marshmallows schon gekauft. Ach, und Moll? Bitte vergiss nicht, das Bild mitzubringen, das du … ja, genau, das. Ich habe dafür einen Rahmen gekauft. Das bekommt den schönsten Platz bei mir. Genau, über dem Fernseher. Ja, mein Mädel, ein dickes Bussi für dich. Dickes Bussi an alle, in Ordnung, Kleines?«
Unerklärlicherweise kämpfte ich mit den Tränen. Er legte das Telefon weg und sah mich aus den Augenwinkeln an.
»Meine jüngste Tochter«, sagte er leise. »Hat Ärger mit dem neuen Freund ihrer Mutter.«
»Ach so.« In diesem Moment tat er mir so leid, dass ich verzweifelt nach etwas suchte, das ihn trösten konnte. »Es ist wohl ziemlich … schwierig …«
»Ja.« Rüde spuckte er den Kaugummi aus dem Fenster und drehte die Stereoanlage auf. Ich hielt den Mund.
»Silver«, sagte ich ein wenig später kleinlaut. Mit Schaudern erinnerte ich mich an meinen hysterischen Anfall von letzter Nacht.
»Ja«, antwortete er, die rechte Hand am Lenkrad, den Arm lässig im offenen Fenster drapiert. Zum ersten Mal fiel mir die kleine Narbe unter seinem linken Auge auf.
»Was denken Sie wirklich über Agnes? Fanden Sie …« Ich musste mich räuspern. »Fanden Sie sie schön?«
»Ein kalter Fisch. Und ihre Augen stehen zu nahe beieinander«, sagte er. Dann drehte er das Radio lauter, wobei sein Arm über meine nackte Haut streifte. »Kein Vergleich«, meinte ich, ihn murmeln zu hören, aber vielleicht bildete ich mir das ja nur ein. Mir gefiel nicht, welche Sprünge mein Herz machte, wenn seine Haut die meine berührte. Es gefiel mir ganz und gar nicht.
Vor einem Laden in der Nähe des Eastbourne Pier fanden wir Constable Kelly an seinem Wagen lehnend. Er aß ein Stück Schweinefleischpastete und las Zeitung. Hinter ihm in einem Fiat Panda saß ein uniformierter Beamter, den ich nicht kannte. Er gab etwas über Funk durch. Kellys Bauch war wieder zur Originalgröße angewachsen und damit ein geräumiger Rastplatz für alle Brösel, die er beim Essen verstreute.
»Alles okay, Boss? Mrs Finnegan.« Er winkte uns mit seinem Mittagessen. Wenn er erstaunt war, mich zu sehen, war ihm das zumindest nicht anzumerken. Silver warf einen skeptischen Blick auf die fettige Pastete und fischte eine Krawatte aus der Tasche. »Alles klar?«
»Schmeckt nicht schlecht, Boss, danke.«
»Nicht die Pastete, Mann. Der Zeuge.«
»Ach, Entschuldigung. Nicht so ganz.« Kelly warf mir einen schnellen Seitenblick zu. »Genau dasselbe – langes, blondes Haar, Auto mit Metalliclackierung, ein schreiendes Baby. Der Ladenbesitzer fand es seltsam, dass sie nicht wusste, welche Art Babymilch sie brauchte. Scheinbar war sie ziemlich nervös. Das war ihm im Gedächtnis geblieben, und als er dann die Geschichte im Fernsehen sah …« Kelly deutete auf die Zeitung, die in der leichten Brise raschelte.
»Das einzig Blöde ist nur, dass das Vögelchen …« Wieder warf er mir einen Blick zu. »Verzeihung, die Dame, dass diese Dame dunkelhaarig war. Zwei andere glauben, sie war blond. Der Constable holt gerade den Zeichner.«
Silver seufzte. »Ich höre mir das mal lieber selbst an. Bleiben Sie doch hier, Jessica.« Die beiden Männer gingen in den Laden. Gespannt übernahm ich Kellys Posten und warf einen Blick auf die Lokalzeitung, die er zurückgelassen hatte. Meine
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