Morgen früh, wenn Gott will
es läutete einfach immer weiter – und auf einmal, gerade als ich auflegen wollte, um mich wieder auf den Stuhl sinken zu lassen, ging jemand an den Apparat. Jemand ging an mein Handy – das ich bei meinem kleinen Sohn gelassen hatte. Wer immer diese Person auch sein mochte, sie sagte kein Wort. Ich hörte sie nur atmen, und irgendwie hörte sich das nicht nach meinem Ehemann an, aber woher ich das wusste, hätte ich niemandem sagen können. Aber irgendjemand war da am anderen Ende der Leitung, und so sagte ich mit gepresster Stimme, bevor ich zu schreien anfing:
»Hallo, wer ist denn da? Können Sie mich hören? Mickey …« Doch dann, bevor ich noch ein weiteres Wort sagen konnte, wurde eingehängt. Sie wollten also nicht mit mir sprechen. Sie schalteten einfach nur mein Telefon aus.
Kapitel 3
Leigh kam, als ich das Telefon weglegte. Ich hatte gerade nochmals die Polizei angerufen. Ich beobachtete die elefantenähnlichen Manöver ihres riesigen Wagens beim Einparken, und mir fiel ein, wie spöttisch sich Mickey immer über meine Schwester und ihren stämmigen Ehemann äußerte. »Wozu braucht sie denn diesen Traktor?«, zischte er für gewöhnlich. »Für ihre Einkäufe?« Mickey nannte sie eine Shoppingratte, eine Dolce&Gabbana-Ratte.
In einer schnurgeraden Linie kam sie den Weg herauf, und als ich sie hereinließ, versuchte ich, nach Möglichkeit nicht zu zittern. Ich sagte ihr, die Polizei wäre bald hier, offensichtlich nähmen sie den Fall jetzt doch ernster. Da legte sie den Arm um mich, und plötzlich fing ich an zu weinen und konnte gar nicht mehr aufhören. Ich löste mich in heiße Tränen auf, die mein Herz wärmten, denn eigentlich war mir kalt bis ins Mark. Mitten in diesem schrecklichen Zustand der Auflösung kam Maxine nach Hause. Sie trabte herein, wie immer aufgeputzt wie ein Weihnachtsbaum, und ich dachte so nebenbei: Ich muss ihr mal sagen, dass man sich hier nicht so offenherzig gibt.
Dann aber holte die traurige Wirklichkeit mich wieder ein, als ich merkte, wie fassungslos meine Tränen das Mädchen machten. Sie sah weg, als mache das alles sie unendlich verlegen, dabei hatte ich, in den drei Monaten, in denen sie bei uns war, noch nie gesehen, dass Maxine irgendetwas aus der Fassung gebracht hätte. Sie war die Art von Mädchen, die nackt vom Schlafzimmer in die Dusche marschieren würde, wenn man sie ließe. Die sich einen feuchten Kehricht darum kümmerte, wer sie dabei angaffte. Bei uns hatte sie bald die Quittung für ihre Unbekümmertheit bekommen, denn Mickey war morgens immer mieser Laune. Irgendwann schnauzte er sie an, wie ich erleichtert feststellte, hinter der Schlafzimmertür verborgen. Er putzte sie herunter, weil sie sich immer in so winzige Handtücher hüllte. Sie allerdings zuckte offensichtlich nur mit den Schultern. Da steckte ein ziemlicher Puritaner in meinem angeblich so liberalen Ehemann.
Leigh schob Maxine ins Nebenzimmer, während ich versuchte, die Fassung wiederzufinden. Ich brauchte ein ganzes Paket Taschentücher auf, und meine Augen waren hinterher rot und geschwollen, doch am Ende beruhigte sich mein pfeifender Atem wieder. Schließlich erschienen die beiden wieder im Türrahmen. Maxine überragte Leigh um einiges, ihr langer Schatten fiel in den Raum.
»Aber Mr Finnegan wird doch sicher bald zurückkehren, oder?«, meinte sie. »Ich bin nur zurückgekommen, um meine Tasche zu holen, aber – si vous voulez – möchten Sie, dass ich bleibe?« Ihr lustiges Püppchengesicht bebte vor Anstrengung. Ich sah sie vor mir, wie sie Louis etwas auf Französisch zugurrte und ihn liebevoll hin und her schaukelte, auf ganz natürliche Weise. Während ich zu Anfang nur Angst hatte und unter dem Gewicht meiner neuen Verantwortung fast zusammenbrach. Ich verging fast vor Eifersucht, als sie ihm Liedchen wie »Frère Jacques« vorsang und er sie anstrahlte. Damals zog mein Magen sich schmerzhaft zusammen, ich kam mir vor wie die letzte Versagerin. Jetzt aber fühlte ich mich deshalb schuldig. Ich ballte vor Verzweiflung die Fäuste, als meine kleinliche Eifersucht mir plötzlich wieder so lebendig vor Augen stand. Wenn Louis doch nur wieder zu Hause wäre … Dann sollte Maxine ihm so oft vorsingen, wie sie nur wollte. Ich würde nie wieder neidisch auf ihr Verhältnis zu ihm sein.
Und dann fuhr draußen ein anderer Wagen vor und hupte, einmal, und dann noch einmal. Instinktiv wollte ich hinauslaufen und sagen, sie sollten das Kind nicht aufwecken, doch dann
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