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Morgen früh, wenn Gott will

Morgen früh, wenn Gott will

Titel: Morgen früh, wenn Gott will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Seeber
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einer Kneipe versackt. Ich griff nochmals zum Scotch und widerstand dem Bedürfnis, Greg zu sagen, was ich wirklich von ihm dachte. Der Mickey, den ich kannte, »versackte« nicht in Kneipen.
    Schließlich rief ich meine Schwester an. Ich nahm den Handapparat und schloss die Tür zu Mickeys Arbeitszimmer fest hinter mir.
    »Wirklich, Jess. Ich bin sicher, dass er jede Minute bei eurer Vordertür hereinspaziert.«
    Hörte ich da einen Hauch von Zweifel in ihrem Tonfall? »Leigh, ich habe Louis seit zwei Uhr nicht gefüttert, und es ist jetzt fast sieben. Meine Titten explodieren gleich. Mickeys Handy ist tot. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wo er sein könnte, und die Polizei denkt auch schon, ich spinne. Ja, ich bin auch sicher, dass er bald zu dieser Tür hereinspaziert, aber wenn ich in der Zwischenzeit nichts unternehme, werde ich wahnsinnig.«
    Eine Stimme sprach ins Telefon. Zweifelsohne Gary. Sie legte die Hand über die Sprechmuschel und sagte etwas zu ihm. »Es ist vielleicht noch ein bisschen früh, um in Panik zu geraten, Jess.«
    »Ich versuche ja, nicht auszuticken, glaub mir. Ich will nur das Baby hier haben, das ist alles. Ich verstehe nicht, wo sie hingegangen sein könnten.«
    »Hör mal«, meinte sie mit einem nahezu unhörbaren Seufzer. »Möchtest du, dass ich vorbeikomme und dir Gesellschaft leiste, während du wartest? Ich tue das gern.«
    Ich wünschte nur, ihr Angebot klänge so, als würde sie es auch so meinen. »Wie du willst«, antwortete ich. »Aber ich könnte wirklich ein wenig Gesellschaft vertragen.«
    »Vielleicht ist er ja, ich weiß nicht, mit einem Freund auf einen Drink gegangen.«
    »Was? Mit Louis? Wieso?«
    »Ach, komm, Jess. Du weißt doch, wie Mickey ist. Du sagst es ja selbst immer …« Ihr Satz blieb schwer in der Luft hängen.
    »Was?« Irgendwie suchte ich in ihren Worten nach ein wenig Zuversicht.
    »Na ja, du weißt schon. Dass er gern sein eigenes Ding macht.«
    »Aber doch nicht so. Das wäre sogar für ihn ein bisschen viel, oder?«
    »Ich will ja nichts sagen.« Sie hörte sich unterkühlt an. Wie seit Wochen.
    »Bitte, Leigh. Dafür ist jetzt keine Zeit. Sag einfach, was du denkst.«
    »Im Normalfall würde ich das ja auch. Aber seit dem Tag, als ich dir gesagt habe, du hättest deinen Schwung verloren, habe ich den Eindruck, als würdest du …«
    Fast hätte ich laut herausgelacht. »Aber das hörte sich an wie eine Shampoowerbung, das war alles. Außerdem ist das jetzt nicht wichtig, oder?« Ich war so gelassen, wie ich es nur immer sein konnte. »Wenn die Mädchen dich nicht brauchen, würdest du vielleicht … würdest du herüberkommen, nur ganz kurz?« Sie sagte, sie würde es versuchen.
    Allein in der zunehmenden Dunkelheit der Küche dachte ich über das nach, was meine Schwester gesagt hatte. Vielleicht hatte sie ja recht. Vielleicht dramatisierte ich alles. Lieber Himmel, ich hoffte es zumindest. Mittlerweile sollte ich Mickeys Extravaganzen eigentlich gewöhnt sein. Er hasste es, auf etwas festgelegt zu werden, wissen Sie. Er mochte es, wenn er kommen und gehen konnte, wie er wollte, ein einsamer Cowboy eben. Ich starrte auf die weiße Wand mir gegenüber, wo ein großes Foto von unserem vier Monate alten schlafenden Sohn hing, das Mickey gemacht hatte, während ich auf dem Sofa im Kinderzimmer lag, vollkommen geschafft von all dem Neuen, das auf mich einstürmte, und meinem süß gelockten Sohn beim Schlafen zusah. Ich sah das Foto an und erinnerte mich, dass ich in diesem Moment glücklicher war als je zuvor. Ich weiß noch, wie ich dachte, dass ich nach all den Monaten der Angst nun endlich Frieden gefunden hatte.
    Jean steckte ihren wuscheligen Kopf zur Tür herein und meinte, sie würde jetzt gehen. Ich stand auf und suchte nach Geld, als es mir plötzlich wie Schuppen von den Augen fiel. Natürlich! Warum zum Teufel hatte ich nicht schon längst daran gedacht? Ich verfluchte mich, weil mein Hirn mittlerweile so unendlich langsam war. Ich suchte nach dem Telefon, das ich eben weggelegt hatte. Dabei schnitt ich mir mit einer von Mickeys Skizzen, die er noch nicht eingeordnet hatte, in den Finger. Doch die Bluttropfen interessierten mich im Moment nicht. Stattdessen wählte ich meine eigene Handynummer. Ich stellte mir vor, wie es in der Tasche des Buggys nun aufzuleuchten begann, mein Telefon mit dem Bild des einen Tag alten Louis auf dem Display.
    Es läutete und läutete. Innerlich flehte ich, Mickey möge doch bitte, bitte antworten, doch

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