Morgen früh, wenn Gott will
zu wollen. Deb machte mir wieder Tee. Eigentlich mochte ich keinen, doch ich trank ihn, denn mittlerweile war dies meine Pflicht, dazu ein paar Vollkornkekse. Dann sah ich mir die Polaroids von dem Buggy an, den sie gefunden hatten, und von meiner armen Designertasche. Als ich feststellen musste, dass es meine Sachen waren, sank mir kurzzeitig doch der Mut. Wieder schien sich diese unglaubliche Hysterie breitzumachen, und so machte ich noch einen Witz. Ich sagte:
»Mickey wird einen Anfall kriegen. Die Tasche hat ein Vermögen gekostet.« Silver und Deb tauschten einen Blick aus. Ich sagte: »Was ist denn?«, und fragte mich, wie viel ich von diesem ewig Im-Dunklen-gelassen-Werden noch ertragen konnte. Dann meinte Deb: »Mickey war bei Bewusstsein.«
Irgendwie stimmte die Zeitwahl in diesem Satz nicht. Daher unterbrach ich sie, bevor sie weitersprechen konnte: »Was soll das heißen, ›war‹ bei Bewusstsein?« Sie antwortete: »Er ist wieder hinüber.« Ich starrte sie an, und sie korrigierte sich schnell.
»Abgetaucht, meine ich. Ohne Bewusstsein. Entschuldigung. Ich wollte Sie nicht erschrecken. Wie dumm von mir. Es geht ihm gut, aber er ist noch immer bewusstlos. Das ist doch ein gutes Zeichen, oder?«
»Ja?«, fragte ich schwach. Mittlerweile schien mir nichts mehr gut.
»Mama hat angerufen«, sagte Leigh und strich sich nervös das Haar glatt. »Ich habe ihr das Schlimmste schon erzählt.« Was für ein lächerlicher Ausdruck, dachte ich. Ich stellte mir meine sonnengebräunte Mutter vor, wie sie in Spanien am Telefon saß, während Goldreifen in ihren Ohren schaukelten, sobald sie sich nach vorne beugte, um sich noch eine Zigarette anzuzünden. In ihrem Äffchengesicht arbeitete es, während sie die Nachrichten verdaute.
»Kann es denn noch schlimmer werden?«, fragte ich. Und fügte hinzu: »Ich will darauf keine Antwort hören. Kommt sie?« Ich sah Leigh hoffnungsvoll an, doch sie hatte sich schon weggedreht. Ich spürte, wie meine Schultern wieder ein bisschen zusammensackten. Dann fiel mir auf, dass Leigh Wein trank. Zweifelsohne Mickeys Wein.
»Kann ich bitte auch ein Glas haben?«, fragte ich.
»Oh«, meinte sie ausdruckslos. Dann fügte sie hinzu: »Glaubst du wirklich, das ist eine gute Idee?«
Mit einem Blick zwang ich sie in die Knie, einem eisigen Starren, das ich schon als Teenie perfektioniert hatte. Ich setzte es nicht sehr oft ein und ganz bestimmt nicht gegen meine große Schwester, jetzt aber zeitigte es seine Wirkung. Sie stakste auf ihren hohen Absätzen zurück in die Küche.
Silver sprach darüber, dass ich den Buggy und die Tasche identifizieren müsse, die leer war, als sie gefunden wurde. Und ob ich nicht ins Krankenhaus wolle. Ich wollte gerade entgegnen, dass es wohl ein gutes Zeichen sei, dass man Louis’ Babytasche nicht gefunden hatte, denn das heiße doch wohl, dass sie noch bei ihm sei. Doch dann läutete plötzlich das Telefon. Das Klingeln schnitt durch die feuchte Luft wie ein Messer durch weiche Butter. Alle fuhren auf. Ich wartete einen Augenblick, dann wurde mir klar, dass dies hier mein Haus war, dass folglich mein Telefon läutete. Ich war die Erwachsene hier, also musste ich auch rangehen. Vorsichtig nahm ich den Hörer ab. Silver musterte mich aufmerksam, als ich wie eine Gehirnamputierte »Hallo« sagte. Eine mir vertraute Stimme sagte ebenfalls »Hallo«.
»Ich hab dich gerade im Fernsehen gesehen, Jessie, Liebes«, erklang es vom anderen Ende der Leitung, und ich ließ beinahe den Hörer fallen.
Leigh klackerte herein, mit einem Weinglas in der Hand. »Wer ist es denn?«, fragte sie. Ich starrte sie an, nicht den Todesblick natürlich. Dann sagte ich ein wenig hilflos: »Es ist Robbie.« Sie musste mich zweimal ansehen, genauso wie Stan Laurel es getan hätte. Dann ließ sie das Weinglas fallen. Es rutschte ihr einfach aus den mit Selbstbräuner behandelten Fingern und zerschellte auf dem Boden in tausend schimmernde Splitter, die tödlich in der Abendsonne glitzerten.
Auf der Heide vor meinem Schlafzimmerfenster picknickte eine junge Familie im Abendlicht. Ihr Spaniel wuselte herum und kreiste sie immer mehr ein und bellte fröhlich. Die Mutter lachte über etwas, was eines ihrer Kinder gesagt hatte, und warf dabei ihren Kopf in den Nacken wie ein großer Star aus der Frühzeit des Kinos. Ihr Mann beugte sich zu ihr und küsste sie. Da verging mir die Lust am Zuschauen.
Obwohl die Sonne beinahe untergegangen war, stand die Hitze förmlich in der
Weitere Kostenlose Bücher