Morgen früh, wenn Gott will
unserer Suite überreichte Mickey mir mein Hochzeitsgeschenk: die Emin-Skizze, die ich an unserem ersten Abend so sehr bewundert hatte. Ich war einfach überwältigt. Das sei, so meinte er, der Start in ein neues Leben, für uns beide. Für uns drei, fügte er hinzu, und küsste durch das Satinkleid hindurch meinen runden Bauch. Allein die Erinnerung ließ mich voller Verzweiflung zusammenzucken.
»Könnten wir jetzt vielleicht aufhören, über dieses Thema zu sprechen?«
Er sah mich an und seufzte tief. »Das hat alles nichts mit mir zu tun, Jessica. Ich versuche doch nur, Ihnen zu helfen. Das ist das ganz normale Procedere in so einem Fall. Ich versuche nur, Ihren Sohn zu finden. Und ich muss sagen …« Beiläufig setzte er den Blinker und sah in den Spiegel. »… ich begreife einfach nicht, wieso Sie nicht mit mir reden wollen. Tut mir leid.«
Ich atmete tief ein und aus. »Nun, es ist … es …«
»Was?«
»Ich finde es nur so schwierig, das ist alles.«
»Den Eindruck macht es, ja.«
»Wahrscheinlich, weil es um mein Privatleben geht.« Ich versuchte es ja. Ehrlich.
»Ja, ich verstehe das. Aber es geht auch um Ihren Sohn.«
»Ja, ich weiß.« Ich war so verschlossen, so hinter meinen Schutzwällen verbunkert, so unendlich misstrauisch gegenüber der Polizei. Wie sollte ich einem vollkommen Fremden erklären, dass ich die Polizei schon seit meinen Kindertagen fürchtete. Draußen zogen die hässlichen Fassaden der Läden vorüber. Eine Straßenlaterne schaltete sich ein. Ich hatte diesen Moment des Tages noch nie so bewusst erlebt.
»Tut mir leid«, sagte ich ruhig. »Ich … ich habe einfach Schwierigkeiten mit der Polizei.«
»War wahrscheinlich keine angenehme Erfahrung?«
»Nein, war es nicht.«
»Und vermutlich wollen Sie mir nicht erklären, wieso?«
»Nein, eigentlich nicht. Nicht jetzt, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Ich kämpfe noch damit.« Was mir selbst gerade erst klar wurde – obwohl es schon über zehn Jahre her war.
»Jessica, wenn Sie so verschlossen sind, dann kommt das sehr merkwürdig an.«
»Wieso merkwürdig?«
»So als hätten Sie etwas zu verbergen.«
Lieber Himmel, nein! Etwas zu verbergen haben! Ich dachte an meinen Vater. Freitagabend fuhren wir immer zum Hunderennen nach Walthamstow. Er gab mir ein Pfund, das ich auf meinen Favoriten setzen durfte. Wenn ich gewann, gab ich das Geld für Kaubonbons und Weingummis aus. Wenn ich jetzt so zurückdachte, kam es mir komisch vor, dass ich so oft gewonnen haben sollte. Samstags, wenn Mama Leigh in die Ballettstunde begleitete, fuhren wir zum Pferderennen. Ich feuerte seinen stets todsicheren Tipp an und drückte seine Hand so sehr, dass er mich sein »Greifer-Girl« nannte. Ich ritt auf dem Pony seines alten Kumpels Jack, auf Mildred. Er und Jack standen rauchend hinter unserem Haus und redeten übers »Geschäft«, während Robbie und ich mit dem Pony herumtobten. Als er eines Tages nicht hinsah, fiel ich herunter und verlor total die Nerven. Auch die Zeit später war mir noch in guter Erinnerung. Wie ich endlos auf seine seltenen und kostbaren Briefe wartete. Wie ich heiße Tränen in mein Kissen weinte, während die anderen schliefen. Ich flehte meine Mutter inständig an, mich mitzunehmen, wenn sie ihn besuchen ging, bis sie schließlich einwilligte. Diese Besuche, bei denen wir uns nicht einmal umarmen durften. Bei denen mein Vater mit krampfhafter Munterkeit meine eifrige kleine Hand hielt. Er kämmte sich immer extra für mich das Haar, aber er war so dünn geworden und er hustete so heftig, dass ich mir wirklich Sorgen um ihn machte. Mit gutem Grund, wie sich am Ende herausstellte.
»Jessica?«
Ich kämpfte mich in die Gegenwart zurück. »Mit Louis hat das gar nichts zu tun. Warum sollte ich vor Ihnen etwas verbergen?«
»Natürlich kann ich Ihnen nachfühlen, dass Sie es als Zumutung betrachten, über Ihr Privatleben sprechen zu müssen.«
»Ja. Es kommt mir einfach merkwürdig vor.« Tatsächlich fühlte ich mich merkwürdig. Eine gewisse Trägheit überfiel mich. »Als wäre ich in einer billigen Talkshow.«
»O ja, aber das hier ist ja nicht das Frühstücksfernsehen, Kindchen. Ich versuche nur, eine klare Vorstellung davon zu bekommen, worum es hier geht. Sind Sie sicher, dass Sie mir alles gesagt haben, was irgendwie Licht in diese Angelegenheit bringen könnte?«
»Ich sage Ihnen doch, das ist alles.« Ich konnte mich kaum konzentrieren. Meine Augenlider wurden schwer. Ich versuchte, meinen Blick auf
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