Morgen früh, wenn Gott will
Vorher allerdings sah ich noch, wie sich auf seinen gebräunten Zügen die Andeutung eines Grinsens abzeichnete. Da mir keine passende Antwort einfiel, ging ich hinauf, um mich anzuziehen.
Sobald ich wusste, dass Louis am Leben war, erlosch in mir jede Spur von Wut, die ich Mickey gegenüber gehegt hatte. Ich rief das Krankenhaus an, um ihm die Nachricht gleich zukommen zu lassen, doch man sagte mir, er schlafe und man wolle ihn nicht wecken. Schwester Kwame war wieder im Dienst. Sie war höflich wie immer und schien sich über die gute Nachricht wirklich zu freuen, gleichzeitig aber wirkte sie ein bisschen zerstreut. Dann rief ich Leigh an. Sie war immer noch sauer auf mich wegen Robbie.
»Ich begreife einfach nicht, wieso du ihn hereingelassen hast.« Ich hörte, wie sie sich eine Zigarette ansteckte.
»Das habe ich nicht. Es war Deb.«
»Tja«, sie nahm einen tiefen Zug. »Er kann von Glück sagen, dass man ihn nicht vom Fleck weg verhaftet hat.«
»O Leigh«, sagte ich. »Du weißt doch gar nicht, ob er Ärger hat. Mach ihn doch nicht immer so runter.«
»Jessica, Robbie hat immer Ärger. Und er wickelt dich noch immer um den kleinen Finger.«
»Aber du bist zu hart mit ihm. Er meint …«Ich kämpfte mit mir, ob ich ihr das wirklich erzählen sollte. »Er meint, er würde gern helfen.«
Sie lachte abfällig. »Und das glaubst du auch noch? Gott, Jessica, du bist wirklich nicht von dieser Welt.«
»Wusstest du, dass er mit Mama gesprochen hat?«
»Wann?« »Vor einiger Zeit, offensichtlich. Jedenfalls noch bevor Louis zur Welt kam. Er sagte, er habe gewusst, dass ich geheiratet habe.«
»Nein. Nein, ich wusste es verdammt noch mal nicht. Warum hätte sie uns das nicht erzählen sollen?«
»Ich weiß nicht. Ich komme auch nicht dahinter. Immerhin … nun ja, wenn es um sie und Robbie geht, weiß man nie.«
Verärgert sog Leigh die Luft ein. »Ja, das stimmt wohl. Aber wie auch immer, das heißt nicht, dass du ihm deshalb vertrauen kannst.«
»Sieh mal, Leigh, ich weiß, dass er dich auch ausgenützt hat, aber im Moment weiß ich eben nicht, wem ich noch vertrauen soll. Oder was ich tun soll. Ich bin … Ich habe das Gefühl, als könnte ich jede Sekunde zusammenklappen.«
Ein weiterer Zug an der Zigarette. Ausatmen. Ihre Stimme war jetzt weicher. »Du machst deine Sache super, Jess. Halte bitte durch. Du wirst sehen: Louis ist wieder da, noch bevor du papp sagen kannst.«
Meine Augen füllten sich mit Tränen, wie sie es immer taten, wenn sein Name fiel. »Nun ja, ich hoffe, du hast recht. Denn wenn nicht …«
»Was dann?«
»Wenn ihm etwas zustößt, Leigh, bringe ich mich um. Ganz sicher. Ich könnte einfach nicht mehr weiterleben.«
»Jessica!« Ich konnte hören, wie schockiert sie war. »Wag es ja nicht, so etwas auch nur zu denken.«
»Wieso nicht? Es ist die Wahrheit.«
»Jess, du bist eine Kämpfernatur. Jetzt komm schon.«
»Ich habe genug vom Kämpfen. Mein ganzes Leben lang habe ich gekämpft. Ich dachte, damit sei nun endlich Schluss.«
»Hör zu, es wird ihm nichts passieren. Was stand auf dem Fußboden? Er ist in Sicherheit. Gott sei Dank.« »Ja«, antwortete ich bitter. »In Sicherheit bei jemandem, der ihn seiner eigenen Mutter weggenommen hat. Was für eine Sicherheit ist das schon?«
Dieses Mal wusste Leigh keine Antwort.
Kapitel 12
Als Deb im Badezimmer war, schlüpfte ich aus dem Haus. Shirl war zur Arbeit gegangen, und ich sollte eigentlich ins Krankenhaus zu meinem Gespräch mit dem Psychotherapeuten, doch ehrlich gesagt fand ich diese Vorstellung grauenvoll. Ich würde ganz bestimmt nicht bei irgendeinem Therapeuten herumhocken, um mit ihm mein Leben durchzukauen, herzlichen Dank. Die Polizei im Haus reicht mir schon. Ich setzte eine riesige dunkle Sonnenbrille auf und Mickeys Baseballkappe. Dann hüllte ich mich in meinen Poncho, obwohl ich darin ganz schön schwitzte. Nur für den Fall, dass mir jemand folgte.
Er saß am Tresen. Sein Bierglas war halb leer, das Whiskyglas daneben ganz. Er sah verbraucht aus, älter als er war. Ich spürte, wie mein Herz sich zusammenkrampfte bei dem Gedanken an all das, was aus ihm hätte werden können. Still verfluchte ich meinen Vater für das, was er uns damals angetan hatte, die Narben, die er hinterlassen hatte, obwohl er immer wieder sagte, wir seien seine Lieblinge. Ich erinnerte mich wieder, wie Robbie ihm folgte wie ein verkleinerter Schatten. Mein Herz flog ihm zu. In einer sentimentalen Anwandlung wollte ich die
Weitere Kostenlose Bücher