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Morgen früh, wenn Gott will

Morgen früh, wenn Gott will

Titel: Morgen früh, wenn Gott will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Seeber
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damit es ein wenig herumlaufen konnte. Er ließ etwas fallen. Ich sah, dass es sein rosafarbener Trinkbecher war, der in die Kuhle am Wegrand rollte. Der Junge wollte den Becher holen, doch die Mutter ließ ihn nicht. Da begann er mit den Füßen aufzustampfen und zu schreien. Sie packte ihn grob am Arm und zog ihn weg, er fiel hin, und seine Knie schleiften über den Boden.
    »He!«
    Sie hielt inne und drehte sich zu mir um. Unter finster zusammengezogenen Augenbrauen sah sich mich an.
    »Sie tun ihm weh«, sagte ich.
    »Ach ja? Und was geht Sie das an?« Sie hatte einen feinen Akzent, ihre Sachen waren aus einem sehr teuren Kaufhaus. Ihre Hand krallte sich um die Handtasche.
    »Einfach alles. Alles hat mit mir zu tun. Sie sollten keinem Kind weh tun«, flüsterte ich. »Sie sollten froh sein, dass Sie es haben.« Ich hob den Becher auf und hielt ihn dem weinenden Jungen hin. Seine warme, kleine Hand umfasste ihn. Ich widerstand der Versuchung, ihn einfach auf den Arm zu nehmen und mit ihm wegzulaufen.
    Stattdessen drehte ich mich um und lief ins Dorf zurück. Robbie drückte sich immer noch an der Bushaltestelle auf der anderen Straßenseite herum. Ich hielt an, bevor er mich sehen konnte und trat in den Torbogen der Lloyds Bank schräg gegenüber. Der Bus kam. Zuerst dachte ich, es würde schwierig sein, ihm zu folgen, doch er war der Erste in der Schlange und ging, ohne sich umzudrehen, aufs Oberdeck. Ich lief los und sprintete über die Straße, was mir in der stickigen Luft schnell Atemnot verursachte. Dann rollte ich mich auf dem letzten Sitz im Unterdeck zusammen.
    Die Straßen, durch die wir fuhren, waren laut, die Luft heiß und stickig. Wir kamen an dem Fitness-Studio vorbei, bei dem Mickey und ich Mitglieder waren. Sehnsüchtig dachte ich an den eisblauen Swimmingpool. Gegen diese Extravaganz hatte ich mich nicht gewehrt, als Mickey mich einfach dort als Partnerin auf seiner Mitgliederkarte eintragen ließ. Ich liebte das Schwimmen und war gut darin – viel besser als mein Mann, der in dieser Hinsicht eher einer Katze glich, die das Wasser scheut. Wenn Louis bei mir gewesen wäre, hätte ich ihn heute vermutlich mit ins Bad genommen, um uns beide ein wenig abzukühlen. Sein süßer kleiner Bauch hätte ein paar Zentimeter über die Schwimmhose gestanden. Er hätte voller Begeisterung mit beiden Händen aufs Wasser gepatscht, dass es spritzte. Wenn ich dann lachte, gluckste er vor Begeisterung über seine Großtat. Mein Magen begann zu schlingern wie der verdammte Bus.
    An der Walworth Road stieg Robbie aus, ich hinterher, wobei ich mich hinter dem Rücken dicker schwarzer Frauen versteckte, die schwere Taschen voller Obst und Gemüse trugen. Ich drückte mich hinter dürre Rentner mit eckigen Schultern und karierten Einkaufstrollys, die trotz gleißenden Sonnenscheins dicke Mäntel trugen. Schließlich bog Robbie in ein Wohngebiet am Bahnhof Elephant & Castle ein, gar nicht weit weg von der Straße, in der wir aufgewachsen waren. Wen er hier wohl kannte? Ich wollte nicht darüber nachdenken. Er überquerte den Kinderspielplatz und hielt kurz an, um sich eine Kippe zu drehen. Dann lehnte er sich an die signalgelben Haltestäbe des dortigen Karussells und telefonierte.
    Rauchend wartete er. Fünf Minuten später kam ein hübscher, schwarzer Junge mit kurzen Locken auf einem Chopper daher. Er umkurvte Robbie, die beiden lachten, dann kam Robbie vom Karussell herunter und ging mit dem Jungen mit, der auf dem Motorrad dahinrollte. Dabei hielt er sich an Robbies Schulter fest, um die Balance nicht zu verlieren. Ich folgte ihnen, bis sie ein Gebäude erreichten, dessen Erdgeschossfenster teilweise vernagelt waren. Ein dicker Mann von weißer Hautfarbe saß vor der Erdgeschosswohnung in einem ramponierten Liegestuhl, der sichtlich schon bessere Tage gesehen hatte, und las eine alte Ausgabe der Sunday Sport.
    »Ist Stevo da?«, hörte ich den schwarzen Jungen rufen. Der Mann zuckte mit den Schultern und zeigte dann mit dem Daumen hinter sich.
    »Gib ihm noch fünf Minuten. Annette ist da – wenn du weißt, was ich meine.«
    Ein Blick unter Männern folgte, der mich erschauern ließ. Ein haariger Kerl in weißer Weste kam an mir vorbei, er führte einen Pitbull an einer Metallkette aus. Mein Herz schlug schneller. Der Mann suchte sich einen spindeldürren Baum direkt neben mir aus, warf einen Gummiring auf einen Ast und versuchte, den Hund aufzustacheln, ihn herunterzuholen.
    Ein dürres Mädchen kam heraus. Sie

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