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Morgen früh, wenn Gott will

Morgen früh, wenn Gott will

Titel: Morgen früh, wenn Gott will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Seeber
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ein wenig, nun ja, seltsam, was Krankenhäuser angeht. Ich habe dort so unendlich viel Zeit verbracht, als er … ähm … gestorben ist.« Darüber redete ich nicht gerne. Eine Zeit in meinem Leben, deren schmerzhafte Seite ich kaum ertrug. »Meine Mutter hatte nicht die Kraft. Sie hat mich an ihrer Statt geschickt.«
    »Wie nett von ihr.«
    »Ach, es war eigentlich nicht ihr Fehler. Sie wurde einfach nicht damit fertig, dass er so krank war. Und mir war es egal. Ich war froh, ihn für mich zu haben, nehme ich an. Er hat mich dauernd zum Lachen gebracht, wenn er die Krankenschwestern nachahmte.« Unwillkürlich lächelte ich.
    »Wie alt waren Sie damals?«
    »Zehn oder elf, glaube ich.«
    »Ein bisschen jung für eigenständige Besuche im Krankenhaus.«
    Wir drei hatten in dem Alter noch viel schlimmere Dinge tun müssen, aber dieses Geheimnis wollte ich mir nicht entlocken lassen. Ich zuckte mit den Schultern. »Nun, so jung auch wieder nicht. Manchmal kam Robbie ja mit. Und ich liebte meinen Vater, wissen Sie. Ich hatte ihn lange Zeit nicht gesehen, bevor er krank wurde. Lungenkrebs. Zu viele Kippen.«
    Mein Gott, wie hatte ich doch diesen kecken Mann geliebt. Schnell zog ich den Sonnenschutz herunter und tat so, als habe ich etwas im Auge. Die zurückgehaltenen Tränen ließen meine Augen in seltsam glasigem Grün erscheinen. Silver sah mich kurz an. An diesem Mann war etwas unwiderruflich Starkes. Bei ihm fühlte ich mich auf eine Weise sicher, die ich mit Mickey nie erlebt hatte. Als hätte er selbst keine verborgenen Ängste. Zumindest keine, die ich hätte erkennen können.
    »Nun, bei dieser Hitze jedenfalls ist Autofahren super. Genau das, was man braucht. Frische Luft, ein klarer Kopf.«
    »Ich wünschte, es wäre so«, sagte ich wehmütig. Ich wartete eine Sekunde, dann zwang ich mich zur nächsten Frage.
    »Wie viele ›Spinner‹ behaupten denn, sie hätten meinen Sohn gesehen?«
    Verlor Silver etwa ein bisschen von seiner Selbstsicherheit? »Alle behaupten, sie hätten ihn gesehen. Die ernst zu nehmenden Aussagen, die wir genauer überprüfen, sind bisher etwa …«
    »Ja?«
    »Drei.«
    Ich hätte mich fast verschluckt. »Drei! Sie haben ja wirklich Humor.«
    »Drei sind gut, sie …« Mitten im Satz hielt er inne.
    »Sie was …?«, hakte ich nach.
    »Nichts«, fügte er lahm hinzu. »Constable Kelly befragt sie. Wissen Sie, die Meldungen kommen alle aus derselben Gegend, was recht vielversprechend ist. Wir müssen einfach realistisch bleiben. Und ein wenig, ähm, Optimismus an den Tag legen.«
    »Haben Sie das auf der Polizeischule gelernt?«
    Er lachte, ich lächelte teilnahmslos.
    »Ja, schon. Die gute alte Polizeischule.« Er machte die Musik ein wenig leiser.
    »Und wo hat man ihn nun gesehen?«, wollte ich wissen.
    »Das kann ich Ihnen jetzt noch nicht sagen. Aber es wird nicht mehr lange dauern, ich verspreche es.«
    »Kann ich mit den Leuten sprechen?«
    »Nicht, solange wir nichts Konkretes haben. Vertrauen Sie mir einfach, Kindchen. Okay?«
    »Okay«, antwortete ich.
    Silver brachte mich in ein schönes, altes Pub im Grünen, etwa zwanzig Minuten von London entfernt in der Grafschaft Kent. Er stellte mir meinen zweiten Wodka für diesen Tag hin, zusammen mit ein bisschen Knabberzeug. Dann entschied er, ich müsse etwas Kräftigeres essen, aber ich lehnte höflich ab, sodass er etwas bestellte, was wir »zusammen« essen sollten. Essen schmeckte in meinem Mund immer noch nach Pappe. Der Wodka jedenfalls, der zusammen mit dem Ploughman’s Lunch aus Brot, Käse und Bier kam, ging mir viel schneller die Kehle hinunter, doch unter Silvers wachsamem Auge versuchte ich, etwas zu essen. Er seinerseits kaute wie immer auf seinem Kaugummi herum und trank eine Diätlimo.
    »Möchten Sie nicht auch ein Bier?«, fragte ich, da mir jeder Schluck guttat. Ein großer Schäferhund schlabberte mit seiner warmen Zunge über meine Füße.
    »Nicht im Dienst«, antwortete er so knapp, dass ich ihm einen fragenden Blick zuwarf. Er sah mich nicht an. Ich wiederum widerstand dem Drang, niederzuknien und mein Gesicht im weichen Fell des Hundes zu vergraben.
    »Meine Kinder sind gerne hier«, sagte Silver und brach ein Stück Käse für den Hund ab. Auf der Wiese spielte eine Gruppe Zehnjähriger recht temperamentvoll Schlagball. Ein kleiner Wichtigtuer mit Unmengen von Sommersprossen gab den Ton an.
    »Kinder? Mehrere?«
    »Ja. Ich habe drei«, antwortete er. Ein Schatten des Bedauerns huschte über sein Gesicht.

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