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Morgen früh, wenn Gott will

Morgen früh, wenn Gott will

Titel: Morgen früh, wenn Gott will Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Seeber
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Kosmetikerin selbstverständlich. Meine Mutter besuchte mich einmal, doch sie brachte den Großteil ihrer Zeit damit zu, voller Ehrfurcht durch Mickeys Haus zu wandern und Sachen zu kaufen, die es in Spanien nicht gab. Ich presste mir die Handballen auf die Augen.
    »Den sprichwörtlichen Penny für Ihre Gedanken«, sagte Silver, während er die Autoschlüssel vom Tisch nahm. Ich fuhr auf.
    »Glauben Sie mir, die möchten Sie jetzt wirklich nicht kennen.«
    Er sah mich aufmerksam an. »Geht es Ihnen gut?«
    »Ich habe nur ein bisschen Kopfweh, das ist alles.« Dann trottete ich hinter ihm her zum Auto. In meiner Brust pochte es. Die Schuldgefühle schlichen hinter mir her wie große schwarze Schatten, während die Kinder im schwindenden Licht der Abenddämmerung laut lachten. Ich drehte mich nicht um.

Kapitel 13
     
    Am nächsten Morgen gab ich schließlich nach. Das Haar der deutschen Psychotherapeutin hatte einen intensiven Glanz. Kupferrot wie ein neues Pennystück schien es das Deckenlicht regelrecht zurückzuwerfen. Um meine Augen gegen die Helligkeit zu schützen, starrte ich stattdessen den holzgeschnitzten Buddha an, der plump in der Ecke saß und sich zwischen den vergilbenden Faltblättern über AIDS und Stress fehl am Platz ausnahm.
    Die Therapeutin schien recht nett zu sein, offen jedenfalls, aber ich würde mich von ihr nicht leimen lassen. Ich blieb unverbindlich und gab ziemlich einsilbige Antworten. Was mich am meisten beeindruckte, war die Direktheit, mit der ihre Fragen aufs Ziel zuschossen. Nein, ich war nicht wirklich selbstmordgefährdet. Und nein, ich hatte keine Todessehnsucht. Ja, ich wollte unbedingt meinen Sohn zurück. Sie meinte, vier Tage erzwungener Trennung vom eigenen Kind würden jede Frau an den Rand des Nervenzusammenbruchs bringen. Natürlich litte ich unter extremen Schuldgefühlen, unter dem Gefühl, versagt zu haben, was meinen Sohn anging, aber natürlich, beeilte sie sich hinzuzufügen, war das nicht der Fall. Auch die depressive Verstimmung nach der Geburt sei normal gewesen, Tausende von Frauen litten darunter, die meisten würden nicht behandelt. Das hieß nicht, dass ich eine schlechte Mutter sei und diese Rolle nicht ausfüllen könne. Oder gar, dass ich verdient habe, was mir jetzt zustieß. Ich nickte nur vor mich hin, um ihr zu signalisieren, dass ich all das verstand. Sie meinte, dass es angesichts der Umstände nur normal sei, wie ich mich fühle. Dann schlug sie bedächtig vor, ich solle doch, wenn ich weitere Medikamente bräuchte, diese einer »verantwortungsvollen« Person anvertrauen, damit diese sie für mich aufbewahrte.
    »Wem zum Beispiel?«
    Sie sah ein wenig verstört drein, als sie mit einer resoluten Bewegung ihre randlose Brille über den schmalen Nasenrücken nach oben schob. »Jessica, Sie haben doch jemanden, der Sie jetzt ein wenig unterstützt, oder? In solchen Zeiten ist das wichtig. Ja?«
    Nein, hätte ich ihr da am liebsten geantwortet, ich habe niemanden, bei dem ich mich wirklich gerne anlehnen würde, zumindest niemanden, bei dem mir das Anlehnen erlaubt wäre, aber ich wollte unbedingt dort raus, und so stimmte ich ihr zu und sagte, was sie unbedingt hören wollte.
    »Ja, natürlich«, sagte ich. »Viele Menschen unterstützen mich. Meine beste Freundin Shirl, meine Schwester Leigh.« Und das stimmte ja auch. Ich hatte zahlreiche Freunde und alle möglichen Menschen, die nur mein Bestes wollten und mich jetzt anriefen. Nur fühlte ich mich trotzdem wie eine winzige Felseninsel, gegen die die Brandung tobte im endlosen Ansturm der Elemente. So absolut und gnadenlos allein, trotz all der Menschen um mich herum. Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Genau das wollte sie wahrscheinlich hören. Aber ich wollte es nicht zugeben.
    »Warum lächeln Sie, Jessica?«
    »Wie bitte?«
    »Sie haben gerade ein bisschen gelächelt.«
    Ich schüttelte den Kopf. Und wartete. Schließlich sprach sie weiter.
    »Und Ihre Eltern? Die Großeltern des Babys?«
    Traurig zuckte ich mit den Schultern. »Mickeys Mutter und mein … mein Vater sind beide tot. Mickeys Vater leidet bedauerlicherweise unter Altersdemenz, und meine Mutter lebt in Spanien. Jetzt jedenfalls. Vermutlich kommt sie noch. Sie wollte es jedenfalls. Ich hoffe es.«
    »Das ist doch gut, oder?«
    »Ja, sicher.« Ich dachte darüber nach. »Eigentlich ist es ein bisschen spät. Mir wäre lieber gewesen, sie wäre gleich gekommen. Aber wissen Sie, sie wird ungefähr so nützlich sein wie

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