Morgen früh, wenn Gott will
einem großen Muttermal im Gesicht und goldenen Ringen in ihren muschelgleichen Öhrchen. Ein roter Wagen fuhr heran, aus dem laute Musik drang. Die Frau winkte unschlüssig. Der Fahrer stieg aus und stolzierte auf uns zu. Er trug eine Art Uniform. Ich fuhr auf, als ich bemerkte, dass es Gorek war. Natürlich, Maxine ging in diese Schule. Ich lehnte mich weit zurück, da ich nicht wollte, dass er mich bemerkte.
Ein paar Leute aus der Gruppe grüßten ihn halbherzig, was allerdings mehr nach höflicher Verpflichtung als nach Freundschaft aussah. Doch er ignorierte sie ohnehin und ging auf die Frau zu. Befehlsgewohnt nahm er ihr das Baby aus den Armen und kitzelte es. Es gluckste auf diese unnachahmlich ansteckende Weise, wie nur Babys es können. Dann hob er es hoch über seinen Kopf, und die Mutter geriet in Panik. Sie streckte die Arme nach der Kleinen aus und sagte etwas zu Gorek, das ich nicht verstand. Aber ihr Mund hatte sich zu einer zornigen Grimasse verzogen. Einen Augenblick lang hielt er das Kind noch höher, sodass sie es nicht erreichen konnte. Absichtlich, um sie zu ärgern. Fast wäre ich aufgestanden, stattdessen setzte ich mich auf meine Hände und widerstand der Versuchung, mich einzumischen.
Schließlich gab Gorek das Kind seiner Mutter zurück und kniff die Kleine dabei in die Wangen. Zu fest offensichtlich, denn ihr Gesicht verzog sich, und die Unterlippe begann, verdächtig zu zittern. Gorek brabbelte schnell etwas in seiner Sprache, wie letzte Nacht. Die Frau nickte widerwillig, dann nahm er seine Brieftasche heraus und überreichte ihr eine Handvoll Banknoten. Dabei kniff er diesmal sie in die Wangen, so fest, dass danach der Abdruck seiner Finger zu sehen war. Als Gorek die Stufen zur Schule hinauflief, kam mein Bus.
Auf dem Weg nach Hause war mir auf seltsame Weise unwohl. War Gorek etwa der Vater des Babys? Wusste Maxine etwas über die Frau? Doch als ich endlich wieder zu Hause war, erwartete mich Deb bereits. Meine Mutter war am Telefon, und so schob ich alle Gedanken an Gorek beiseite.
Meine Mutter kam nicht. Sie hatte endlich den nötigen Mumm aufgebracht, um es mir zu sagen. Sie würde ganz sicher nicht kommen. Eigentlich überraschte es mich nicht, schockiert war ich nur, weil ich deswegen so traurig war. Sie klang am Telefon mit einem Mal schrecklich alt. Ich versuchte, sie zu trösten, doch tief in mir schrie es: Wie kannst du mich jetzt im Stich lassen!
»Jessie, du verstehst das doch, mein Liebes, oder?«, flehte sie mich an. Ich schniefte, schob das Kinn vor, wie ich es als Zehnjährige getan hatte, und antwortete, dass ich es natürlich verstünde. Sie hatte wieder Probleme mit dem Herzen, sagte sie, und der Arzt meine, sie dürfe im Moment auf keinen Fall fliegen. Ich schluckte die Versuchung hinunter, ihr zu sagen, dass jeder hier wusste, dass mit ihrem blöden Herzen alles in bester Ordnung war und wenn sie Probleme hatte, dann nur mit den Nerven. Doch das hätte sie am Boden zerstört, und so verkniff ich mir diese Bemerkung und machte gute Miene zum bösen Spiel.
»Vielleicht wenn das Baby wieder da ist«, sagte sie. In ihrer Stimme lag ein Zittern, als sie anfügte: »Vielleicht kannst du ja mal zu uns kommen.«
»Natürlich tue ich das, Mum.« So lief es immer. Warum sollte es ausgerechnet jetzt anders sein? Die arme, zerbrechliche Mama, die unter der Last, die ihr mein labiler Vater aufgebürdet hatte, zusammengebrochen war. Zum Wrack gemacht von der großen Liebe ihres Lebens. Gestützt von ihren Kindern, die nicht mit ansehen konnten, wie alles vor die Hunde ging und daher versuchten, ein normales Familienleben aufrechtzuerhalten. Mein Baby wurde vermisst, war vermutlich gekidnappt worden, und meine Mutter plante mit ihm Ferien im sonnigen Süden.
Einige Sekunden lang blieb es still. Ich konnte förmlich hören, wie es in ihr arbeitete. Im Hintergrund ein Poltern. Im Geiste sah ich ihren goldbereiften Arm, wie er das Glas mit Gin Tonic an die Lippen hob. Sie musste trinken, um den nötigen Mut zu finden.
»Robbie hat angerufen«, sagte sie. Pause. Dann ein Schwall von Worten: »Mein kleiner Junge. Gott sei Dank, sagte ich zu George. Immer wenn man am wenigsten damit rechnet. Die ganze Zeit, und dann – dabei habe ich schon geglaubt, es sei … jetzt endgültig aus mit ihm.« Vielleicht spürte sie, wie wenig passend ihre letzte Bemerkung war, denn sie verstummte. Dann redete sie plötzlich ganz schnell weiter.
»Ich glaube, er braucht Geld, Jess. Ich möchte
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